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Gut geschlafen obwohl es mir im Schlafsack wieder zu warm war. Um 7 Uhr aufgewacht, 1/8 Lentis
SW-Wind und 14,5°C versprechen einen möglicherweise windigen Föhntag. Wegen Schnupfen noch immer
Druck auf den Ohren, das rechte will seit der Landung in Keflavik einfach nicht aufgehen. Ausgiebiges
Frühstück mit Skyrmüsli. Gegen 9 Uhr Ausbildung von ziemlich niederen Cumulanten, lang, flach und
deutlich föhnig überformt. Postkarten gekauft und an Eltern, Annie und Lena geschrieben. Fühle mich
fit genug heute aufzubrechen - sollte sich die Grippe, die mich die letzten zweieinhalb Wochen
geschlaucht hat, gerade rechtzeitig verzogen haben? Um 23 Uhr nun 6/8 Cumulus in langen Reihen. Es ist
warm und ich liege vor dem Zelt in der Sonne. Ich habe Zeit, mein Bus fährt erst um 15 Uhr. Auf dem
Rücken liegend betrachte ich die Wolken. Im Hochland könnte die Wolkenbasis ziemlich niedrig hängen,
sicher sind auch Schauer nicht auszuschließen.
Im Büro unterhalte ich mich noch mit der Betreuerin des Campingplatzes. Einer ältere, resolute
Lehrerin, Deutsche, die seit 28 Jahren in Island lebt. Die im Platzbüro ausgehängte
offizielle Straßenzustandskarte weist die Route zwischen Dreki und Nżidalur als noch geschlossen aus.
Damit war zu rechnen, aber ich muß mich erst in Dreki entscheiden und bis ich dort bin können sich
die Verhältnisse geändert haben.
Um 15 Uhr dann Abfahrt des Busses Richtung Mżvatn. Meine Reisetasche wird mit dem Bus weiter nach
Akureyri fahren. Der Rucksack verstaut der Fahrer in einem extra Gepäckfach so daß wir dann nicht
lange kramen müssen. Die Fahrt geht nach Nordwesten in das Jökuldalur, dann über die alte, enge
Brücke und teils hoch über dem grauen Fluß nach Südwesten. Die Wasserfälle an den Hängen scheinen
direkt aus dem Himmel zu kommen. Viele Stellen erkenne ich deutlich wieder. Vor zwei Jahren war ich
in der Gegenrichtung unterwegs. Ein starker Wind bläst talauswärts. Schließlich geht es in engen
Kehren zur Jökuldalsheiši hinauf. Die Vegetation bleibt mehr und mehr zurück, die Wolken kommen tiefer.
In der Nähe die ersten Schneeflecken und Reste von Wächten. Wir sind im Hochland! Neben der
Fahrstraße teilweise undeutlich die Spuren des alten Reitweges. Die Steinwarten, die ihn in teilweise
enger Folge begleiten sind jedoch deutlich und gut erkennbar. Dies ist und war ein wichtiger
Verbindungsweg. Zum ersten mal wird der Heršubreiš, der "Breitschultrige", sichtbar. Isoliert in
seiner Lage, symmetrisch und ausgewogen in der Form dominiert er das nordöstliche Hochland. Die
ganze Etappe bis zur Askja wird mich in einem weiten Bogen um ihn herumführen, aber ich werde
ihm nicht nahekommen. Zwischen meinem Weg und dem Berg liegt die Jökulsá á Fjöllum, ohne Brücke auf
fast 100 Kilometer. Meine Stimmung ist gespannt, es wird ernst, dieses Mal gibt es keinen Prolog
wie bei der letzten Tour. Bei der Fahrt über Berge des Möšrudalsfjallgaršar beginnt es aus den immer
dunkleren Wolken zu regnen. Ich ziehe mir schon mal den Anorak an und gehe im Mittelgang zum Fahrer
vor, der mir kurz zunickt. Am Fuß des Passes ist die Abzweigung. Der Bus hält mit laufendem Motor an,
der Fahrer springt heraus und öffnet die Klappe des Gepäckraums. Schnell nehme ich meinen Rucksack
heraus denn der Fahrer hat es eilig nicht allzu naß zu werden. Die Fahrgäste starren im Wegfahren
aus den beschlagenen Busfenstern. Ihr Abenteuer beschränkt sich auf die Fahrt durchs "wilde Hochland".
In einer Viertelstunde werden sie in Möšrudalur, der einzigen und entlegendsten Raststation im
Hochland, Kaffee trinken können.
Was soll ich hier noch länger in Wind und Regen herumstehen, beim Laufen stört er mich weniger.
Etwa 100 Meter weiter parkt unschlüssig ein VW-Bus. Niemand zu erkennen hinter den beschlagenen Scheiben.
Die ersten Schritte auf dem so vertrauten Pistenuntergrund, fest gefahrener Spurrinnen in schwarzem
Sand, getrennt von einem flachen Wall aus grauschwarzem Basaltkies. Man tritt weich auf, ohne
jedoch einzusinken. Die Piste führt flach gewellt genau nach Süden. Links und rechts von ihr
nasses Steinpflaster - Kieswüste, nur vereinzelt kleine, halbkugelförmige Pflanzenpolster.
Einzelne Steinnelken, dazwischen grober Kies, gerundete Steine und ab und zu größere, halb
versunkene oder halb freigelegte, kantige Blöcke. Wind und Regen kommen von rechts vorn, mal
stärker, dann wieder nachlassend. Der westliche Himmel ist heller und über der Silhouette des
Heršubreiš steht ein dunkler Föhnfisch. Eine Wetterbesserung ist absehbar.
Zwölf Kilometer, drei Wegstunden, je nach Tiefe der aus der Karte zu entnehmenden Bachquerungen auch
etwas länger. Mehr ist an diesem Abend nicht zu leisten. Es geht gut voran. Statt zwei kleineren Furten
nach einer Wegstunde treffe ich nur auf einen wirklich kleinen Bach, die zweite Furt ist nirgends
auszumachen. Auf dem kleinen See linker Hand, zwei einsame Schwäne. Dann die erste Furt über die
Hvanná, etwas Grün am Ufer, klares Wasser, flach und in drei oder vier Rinnen verzweigt, nicht nötig
die Schuhe auszuziehen. Dann jedoch keine weitere Furt mehr. Schöner Blick auf den Heršubreiš im
wechselnden Licht. Die Regenpausen werden immer länger, auch der böige Westwind läßt nach. Graue
Kieswüste, kein Geräusch außer dem Wind und den Regentropfen auf der Anorakkapuze, vollkommen
Einsamkeit - ich spüre wie die die Landschaft mich vereinnahmt. Das Hochlandgefühl kommt wieder.
Ich muß mich erst wieder darauf einstellen, mich anpassen, den Rythmus wechseln. Hätte ich jetzt
Begleitung, dann könnte man zur Ablenkung Reden - pfeifen im Wald. Ich sauge es auf. Schräg rechts,
in gut 25 Kilometer Entfernung vor mir, mir der Heršubreiš. Durch seine Ostflanke halb verdeckt
ein Massiv schneebedeckter Berge am Horizont. Trotz Regen ist die Sicht klar. Es sind die Dyngjufjöll,
welche die Umrahmung der Caldera der Askja bilden. An ihrem östlichen Fuß liegt die Hütte Dreki, das
Ziel der ersten Etappe.
am Eggertshnúkur
Das Zelt am Hangfuß zwischen einem Dutzend Dünen aufgebaut, dann noch den "Wadi" einen Kilometer
weiter östlich vergeblich nach Wasser abgesucht. Abendessen entsprechend mager: eine Scheibe Brot
mit Hangikjöt, ein Müsliriegel und einen halben Becher Wasser. Wenigstens hatte ich die
Flasche sicherheitshalber noch in Egilstašir zu zwei Drittel aufgefüllt! Auf der Strecke hatte ich
vier Autos getroffen, jetzt herrscht vollkommene Stille und heute "Nacht" wird mich niemand stören.
Um 20:15 am Fuß des Eggertshnúkur, einem langgestreckten in Nord - Südrichtung verlaufenden
Höhenrücken, angekommen. Nach der Karte hätte ich noch zweimal die Hvanná furten müssen, das
letzte mal hier direkt vor diesem Berg. Meine ganze Routenplanung basiert vor allem darauf am Ende
eines Tages möglichst auf Wasser zu treffen. Hier ist keines, hätte aber sein sollen! Man soll von
einer 1:250000er Karte nicht zuviel verlangen aber wer auch immer das Gewässernetz eingezeichnet hat,
der hat sich an dieser Stelle auch noch einen Teufel um die Höhenlinien geschert.