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Gegen "Mitternacht" kurz raus, 4/8 Cumulus. Über dem Hofsjökull rosa und blaue Föhnfische. Ich bin
hier an der Wetterscheide zwischen Nord, Süd, Ost und West. Welches Wetter hätten wir denn
gerne? Egal, es wird schon das passende mit dabei sein - vor allem in seiner Leeversion. Um 2 Uhr
pfeift der Wind mächtig ums Zelt, aber es steht wie eine Eins und nichts knattert. Es ist deutlich
kälter geworden, aber im Schlafsack ist es warm und gemütlich.
Hagajöklar
Die nassen Sandalen ziehe ich auf der Bank vor der Hütte aus. An der Fahnenstange am Dachfirst
der zweiten Hütte hißt gerade ein Mädchen die isländische Flagge. "Goðan morgun!" Es ist eine der
Hüttenwartinnnen. Ich erkundige mich ob mein kleiner Rucksack mit den Vorräten angekommen sei.
Aber sicher, ist er angekommen, ob ich den kleinen Begleitbrief auf isländisch selber geschrieben
hätte? War es denn so furchtbar? Na ja, ich hab´s halt versucht und brauche auch nicht verraten wie
lange ich dafür gebraucht habe. Die Mühe hat sich aber offenbar gelohnt.
Nýidalur
Küche in Nýidalur
In einer Regenpause gehe ich zur Hütte um meine Übernachtungen zu bezahlen. Ich werde von den
zwei Hüttenwartinnen zum Kaffe eingeladen. Der Reiseleiter und der Fahrer der Franzosen sind auch
da. Die eine Hüttenwartin ist Geographiestudentin und hat letzten Winter in München gelebt. Es
wurde noch ein richtig gemütlicher Kaffeeplausch. Inzwischen hat sie auch die Telephonnummer von
der Hütte in Dreki herausgefunden und dort meine Ankunft mitgeteilt. Bekomme von ihnen noch
einen Apfel geschenkt. Hmm, ich weiß das zu schätzen! Ziehe mich mit meiner Beute zum Kochen
ins Zelt zurück. Habe gerade das Wasser aufgesetzt, als mich von draußen jemand schüchtern fragt,
ob ich zu
Hause sei. Ich strecke den Kopf heraus, ja ich bin zu Hause. Die Franzosen haben beschlossen mich
einzuladen, ihnen doch in ihrem Küchenzelt zu einem Abendessen die Ehre zu geben. Oh, da kann
ich aber nicht ablehnen. Ich bedanke mich bei Madame und verspreche pünktliches Erscheinen sobald
ich mein Krawatte gefunden habe - also sofort. Ich verschließe mein Zelt gut, denn inzwischen ist ein
frischer Wind aufgekommen.
Im Küchenzelt sitzten schon alle in einer großen Runde. In der Mitte ein winziger Campingtisch, die
Isländer haben einen Riesentopf auf dem Gaskocher und es duftet verführerisch. Whiskey oder
Pernod zum Aperitiv? Pernod bitte, es besteht wirklich kein Zweifel wo und bei wem ich zu Gast bin.
Die letzten Bedenken sind beseitigt, der neue Gast spricht Französisch, der eine Monsieur hat
recht gehabt.
Ich habe ihn schon am Nachmittag beim Wasserholen gesprochen. Es gibt noch einen zweiten Pernod
und ich habe bald ihren Vorsprung aufgeholt. Als Entrée reicht man Krautsalat mit Fisch, sehr
erfrischend und überraschend fein im Geschmack. Den Hauptgang bestreitet eine isländische
Spezialität, Saltkjöt, geselchtes Lammfleisch in einer Gemüsesuppe aufgekocht! Die Suppe gibt es
voraus, dann Fleisch und Gemüse. Wie erwartet ziehen einige Franzosen lieber einen zweiten oder
dritten Teller Suppe dem Fleisch vor. Die Isländer grinsen, immerhin ist Saltkjöt ein noch recht
zivilisiertes Gericht ihrer deftigen Küche. Der neben mir sitzende Reiseleiter hat in Paris
studiert und kennt seine
Kundschaft. Sie waren den selben Weg wie ich, von der Askja über die Gæsavötn, mit einem
umgebauten Unimog herübergefahren.
Die Stimmung ist hervorragend, jeder mit seinem Teller auf den Knien. Zum Nachtisch, Surmjölk
(am ehesten mit Dickmilch zu vergleichen) mit einem Schuß Erdbeersoße, müssen wir etwas enger
zusammenrücken weil die Luvseite der Zeltwand vom Wind zunehmend nach innen gedrückt wird.
Zur Mirabelle, bei der nicht ganz klar wird, ob die 78 auf dem handschriftlichen Etikett, das
Abfüllungsjahr oder den Alkoholgehalt bezeichnet, knattern die Zeltbahnen schon beachtlich. Etliche
Blicke wandern besorgt den vibrierenden Mittelmast hinauf und das allgemeine Gesprächsthema
wendet sich der Sturmfestigkeit von Zelten im allgemeinen und der von Küchenzelten im besonderen
zu. Der Reiseleiter beginnt schon mal nebenbei Verhaltensmaßregeln für den Fall der Fälle zu geben,
der selten zwar, aber doch immerhin ab und zu, eintreten kann. Ich habe zwischendurch mal die
Gesellschaft verlassen und mein Zelt noch durch eine zusätzliche Abspannung über einen Skistock
gesichert. Der Sturm kommt aus Nordost und ist genau auf meinen Zelteingang gerichtet. Danach
noch beim Abspülen geholfen. Interessante Gespräche - schön, zwischendurch in Gesellschaft zu
sein.
Gegen 24 Uhr ist es Zeit für den Schlafsack. Die Zelte machen einen Höllenspektakel, auch meines
arbeitet wild und ich darf gar nicht an das filigrane Gestänge denken. Kein Schlaf möglich.
Irgendwann beginne ich im Liegen alle losen Ausrüstungsteile in den Rucksack zu packen - sicher ist
sicher. Draußen im Lärm des Sturmes kurze Rufe und Stimmen. Die Franzosen legen das Küchenzelt
flach bevor es der Sturm für sie erledigt. Schließlich schlafe ich doch ein und höre überhaupt nichts mehr.
Es ist 5 Uhr. Ich habe eine etwas unruhige Nacht verbracht. Es wollte mir nicht gelingen meine
Anatomie den Unebenheiten des Bodens anzupassen, obwohl die Isomatte schon einiges ausgleicht.
7 Uhr Aufbruch. Der Himmel ist bedeckt und es ist kalt, aber kein Niederschlag und nur schwacher
Wind. Steige dem Bach folgend zur Piste ab und quere dabei "meinen Bach" an einer Engstelle über
ein paar Felsblöcke. Unten an der Piste hätte ich furten müssen. Bis Nýidalur sind es nur etwa 10
Kilometer und zwei Furten. Ich bin bester Laune, die Piste geht ab jetzt leicht bergab und sogar die
Sonne kommt schließlich heraus. Drüben zieht von Süd nach Nord ein Regenschauer über den
Hofjökull . Von der Höhe habe ich einen guten Überblick über den Sprengisandur. Kurz nach 9 Uhr
erreiche ich bei Tómasarhagi die Sprengisandurpiste. "Askja 110 km - Nýidalur 5 km" steht auf dem
Schild. Zum Eyjafjörður geht es nach Norden, aber ich muß erst zur Hütte von Nýidalur, wo
inzwischen hoffentlich meine Vorräte eingetroffen sind. Direkt bei der Kreuzung erst eine breite und
tiefe Furt durch die Hagakvíslar. Trübes, knietiefes Gletscherwasser mit starker Strömung kommt
vom Tungnafellsjökull herab. Jetzt bin ich auf der Zielgeraden und fühle mich in Bestform. Es macht
mir Spaß die Stöcke wie beim Langlaufen aktiv eingesetzt mal so richtig schnell zu gehen.
Unmittelbar vor der Hütte dann die breite, in fünf Arme aufgeteilte, Furt der Jökulsá. Der letzte
Arm ist zwar der tiefste, aber die Strömung ist nicht sehr stark. (Anmerkung: Der Fluß hat seinen
Lauf verlegt, bzw. dieser ist verlegt worden. Die tiefste Stelle befindet sich sei einigen Jahren
am nördlichen Rand des Howasserbettes).
Es ist 10 Uhr, ich habe mein Tagwerk hinter mir und werde zumindest zwei Tage hier bleiben.
Es ist ruhig in der Hütte, nur wenige Übernachtunggäste sind da. Auf der Zeltwiese, am Fluß
unterhalb der Hütte, packen gerade ein paar Motorradfahrer zusammen als ich mein Zelt dort
aufbaue. Ich richte es nach dem Wind aus, wohl wissend, daß er irgendwann drehen wird, aber
wohin? Durch die Wassernähe gibt es hier Vegetation - und Mücken wie gehabt. Auffallend die
Eiskeilnetze auf der Zeltwiese, die ich nur zwischen Tómasarhagi und Nýidalur beobachten konnte.
Ich mache erstmal große Wäsche meiner selbst und meiner Klamotten. Zwei junge Biker sprechen
mich wegen der Route zur Askja an. Sie wollen mit dem Mountainbike hinüberfahren. Zumindest
einer scheint mir ziemlich ehrgeizig zu sein. Ich versuche ihnen die Strecke zu beschreiben, wo sie
Wasser finden, und wo keines und daß sie eventuell mehr schieben werden müssen als ihnen lieb sein
wird. Ich rate ihnen nicht gerade ab, aber mahne doch zur Vorsicht. Ich habe noch durch meine
neuen Vorräte mehr Müsliriegel als ich selber brauche und schenke ihnen einen guten Schwung.
Im Zelt koche ich mir ein ausgiebiges Mittagessen und halte dann eine eineinhalbstündige Siesta.
Zum wieder wach werden gibt es Kaffee in der Hütte. Der reißt einen zwar nicht vom Hocker, aber
ich habe in Island schon schlechteren getrunken. Ein Hochlandbus trifft ein. Die Fahrgäste stürmen
aus dem Bus in die Hütte und Fahrer und Reisebegleiter schleppen die Kartons mit den
Lunchpaketen hinterher. in paar Mutige stehen in ihren neuen Islandpullovern mit unter die
Achseln geschobenen Händen, frierend vor der Hütte und rauchen ihre Zigaretten.
Unvergeßliches Abenteuer im wilden Hochland! Ich räume meinen Platz
und schreibe auf er Bank vor der Hütte je eine Karte an Annie und an Lena. Die Karten gebe ich
zwei Mädchen mit, die mit dem Bus weiterfahren. Ach ja, dem Busfahrer kaufe ich noch zwei
Flaschen Egils Leichtbier ab, stärkeren Stoff würde ich eh nicht vertragen. Es herrscht ein reges
Kommen und Gehen an der Hütte. Auch am Zeltplatz unten bin ich jetzt nicht mehr alleine. Ein
umgebauter Unimog mit einer Gruppe von Franzosen ist eingetroffen. Sie bauen ein großes
Küchenzelt und die üblichen isländischen Firstzelte um mich herum auf. Ich fürchte etwas um meine
Nachtruhe und sollte Recht behalten, allerdings in einem etwas anderen Sinne als gedacht. Es beginnt
zu regnen, aber die Wäsche ist schon trocken und kann verstaut werden.