7. Tag, Laki - Hverfisfljót

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Dieter Graser © 2006

Sonntag, 22. Juli 2006


Um 6:00 Uhr tiefe Wolken und Nebelnieseln. Das ist nicht gerade die erhoffte Wetterbesserung. Zumindest regnet es nicht. Spüre vom langen Liegen ein wenig mein Kreuz. Fatale Erinnerung an den Hexenschuß im letzten Jahr auf dem Langjökull. Aufbruch um 8:10 Uhr - war trotz allem schnell.

Moospolster
Steige aus meinem versteckten Tälchen heraus auf die Piste, die von der Laki nach Nordosten zu dem Berg Blængur führt. In meiner Karte ist diese Piste als Wanderweg eingezeichet. Ich will diesen Berg, dem Hangfuß folgend, in einem weiten Halbkreis zu seiner Ostseite hin umrunden. Zunächst geht es gerade und steiler werdend den Hang hinauf. Nach wenigen hundert Metern zweigt eine Fahrspur nach links ab und erreicht bald wieder den Hangfuß. Zwischen Lavafeld und Berghang besteht der Untergrund aus feinem Geröll und Sand. Vor einiger Zeit sind hier zwei Fahrzeuge gefahren. In der Reifenspur ist der Sand noch ein bißchen fester und man kann gut auf ihm gehen. Komme flott voran. Dennoch, meine Moral ist nicht besonders gut. Ich zweifle an der Tour. Sie hat viele Risikofaktoren - nicht nur das Wetter. Mein Rücken macht mir ebenfalls Sorgen. Mache mir im Moment wohl zu viele Gedanken. Einfach nur an den nächsten Schritt denken! Nahziele schaffen! Am Weg eine einzelne große Steinwarte (WP: VRD01).

Als ich endlich den Blængur halb umkreist habe, beschließe ich das Lavafeld gleich hier, und nicht weiter südlich, an seiner engsten Stelle, zu überqueren. Die Lava ist ganz gut gangbar und das kürzt den Weg ein wenig ab. Peile einen auffallenden Findling (WP: STEIN) auf einem flachen Hügel an. Etwas weiter entdecke ich ein seltsames Gebilde. Ein dreieckiger Rahmen aus verschweißten Rohren von etwa 5 m Kantenlänge, liegt flach aufgebockt auf einigen Steinen. Keine Ahnung für was für eine Funktion diese Konstruktion einmal gehabt haben soll. Ich lasse das Rätsel auf sich beruhen und quere weiter die Lava nach Osten zum nächsten Hangfuß. Dann wieder bequemer zwischen Lava und Hang weiter zu dem beiden Seen an den Fremri-Eyrar. Finde an manchen moosigen Stellen die Überreste alter Fußspuren. Am Seeufer wären gute Plätze zum zelten. Einige kleine Bäche liefern Frischwasser. Lege eine kurze Mittagspause ein. Auch den knapp unter einhundert Meter hohen Höhenzug der Fremri-Eyrar umgehe ich auf seiner Nordseite. Dann weiter nach Osten. Als erstes ist der Abfluß der beiden Seen zu furten. Kein Problem - macht Spaß und erfrischt die Füße.

Das Lavafeld ist hier zu Ende. Vor mir liegt die weite Sanderebene der Hverfisfljót. Die Sicht ist schlecht. Kalter Nieselregen setzt ein. Der bissige Wind bläst ihn mir direkt ins Gesicht. Über Moos und Kies stapfe ich etwa 3 km über die trostlose Schwemmfläche. Noch bevor ich den Gletscherfluß sehen kann, höre ich ihn. Schließlich stehe ich an seinem Ufer. Was ich da sehe macht mir klar, daß ich hier ein Problem habe - und zwar ein größeres als befürchtet. Es war mir klar, die Hverfisfljót ist die Schlüsselstelle am Eingang dieser Tour - die erste große Prüfung. Wenn überhaupt, dann ist der Fluß nur hier, in dieser Gegend, wo er sich in mehrere Teilströme verzweigt, zu furten. Ich meine etwa 5 Hauptrinnen und mindesten ebenso viele Nebenrinnen, welche durch kleinere und größere Kiesinseln getrennt sind, erkennen zu können. Ich kann aber nicht einmal abschätzen wie breit das ganze Rinnensystem ist. Jetzt wird es wirklich ernst.

Ich wechsle in die kurzen Radlershorts und mache mich nach bestem Wissen und Erfahrung bereit. Alles sicher unter dem Regenüberzug am Rucksack gut verstaut. Die Kameratasche dicht verschloßen und höher gehängt, die Riemen der Sandalen fest angezogen, die Stöcke auf volle Länge ausgefahren und gut zugedreht. Also los! Der erste kleine Seitenstrom geht mir schon halb die Oberschenkel hoch und das graue Eiswasser schmerzt an den Füßen. Der zweite ist noch tiefer und hat eine starke Strömung. Auf der nächsten Kiesinsel muß ich erst abwarten bis sich die Kälteschmerzen in den Füßen etwas beruhigen. Wie können die Füße so weh tun, wenn sie eh schon taub sind? Im dritten Stromstrich ist kein Durchkommen. Das Wasser zu tief, die Strömung zu gewaltig. Zurück zum Start! Hier geht nichts - vielleicht weiter flußauf?

Nichts schmerzt mehr, als schon geschaffte Rinnen wieder zurückfurten zu müssen! Ich versuche es an einer anderen Stelle. Nach mehreren Versuchen und Rückschlägen bin ich in der Mitte des Labyrinths kurz vor dem Aufgeben. Schmerz und Entäuschung treiben mir die Tränen in die Augen. Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr! Komm, die Hälfte hast du geschafft, es muß doch möglich sein da durchzukommen! Also genau den Wechsel des Stromstriches beobachten, dort ist das Wasser am flachsten. Schließlich war Hydrologie der Schwerpunkt meines Studiums - dann soll das auch wenigstens mal zu etwas gut sein! Zweimal bin ich noch am Limit und kann mich gerade noch auf den Beinen halten. Schließlich noch eine letzte Rinnne, eine steile Kiesböschung und ich habe es geschafft. Ich schreie vor Erleichterung und vor Schmerz. Wie in Trance gehe ich einfach weiter um durch Bewegung das Blut in meinen Beinen zirkulieren zu lassen. Ich spüre meine Füße nicht mehr, da sind nur noch Schmerzen. Ich setze den Rucksack ab und massiere meine geschundenen Beine. Nur die großen Zehen kann ich noch ansatzweise bewegen, alle anderen Zehen reagieren nicht mehr. Bin naß bis auf die Unterhosen. Trockene Kleidung und Sonne wäre jetzt schön. Stattdessen habe ich kalten Wind und Nieselregen.

Hverfisfljót
Langsam sinkt der Adrenalinspiegel wieder. Mit tauben Füßen weiter über das kilometerweite Hochwasserbett der Hverfisfljót. Unter der steilen Böschung an dessen Ostrand, kann ich, je näher ich komme, Wasser erkennen. Oh nein, nicht noch mal! Gerade werden die Füße ein wenig warm. Jetzt ist es eh schon egal. Diese Furt ist ein Klacks im Vergleich zu dem Monster vorhin. Aber auch diese Furt verlangt Um- und Vorsicht. An einer Stelle, wo sich der Fluß in zwei Hauptarme teilt versuche ich es in einem Zug - und es klappt! So, das war's endlich. Einige hundert Meter weiter hält ein etwas höhere Terrasse, was sie von weitem versprach: fester, trockener Untergrund mit weichem Moospolster und ein lieblicher, kleiner Bach mit klarem (!) Wasser.

Es wird 17:30 Uhr bis das Zelt steht. Zu spät für ein Nickerchen. Ich habe einen Bärenhunger und verputze eine reguläre Doppelpackung Trekkingmahlzeit und noch eine halbe Tafel Schokolade zum Nachtisch. Im Schlafsack an den Aufzeichnungen. Die Nerven in den Füßen funktionieren noch immer nicht richtig. Ach ja, auf ein Bad im Bach habe ich heute verzichtet, er ist auch viel zu klein, mein Bach hier. 21:00 Uhr - Zeit für das Sandmännchen.


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