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2. Tag Geysir - Gullfoss

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Copyright © Dieter Graser

Freitag 21. März 1997


Obwohl müde habe ich nicht besonders gut geschlafen. Der unvermeidliche Straßenlärm und zu viel Spätkaffee. Die Nervosität und Anspannung ist einstweilen weg und ich fühle mich recht ruhig und abwartend. Um 7:00 Uhr piepst der Wecker, draußen graue, windige Dämmerung. Es hat Regenschauer gegeben und die Straßen Reykjavíks glänzen naß im Schein der Straßenbeleuchtung. Ein scharfer Wind kräuselt die Pfützen. Erst auf den zweiten Blick sehe ich, daß es noch immer regnet .

Um 8:00 Uhr das Gepäck in der Halle des BSÍ deponiert und den Leihwagen am Hotel Loftleiðir zurückgegeben. Zurück mit Taxi. Tasche nach Akureyri aufgegeben und kurzen Brief an Óskar und Lene geschrieben. Plötzlich ein schüchternes "Hallo". Meine Wirtin vom Jörð ist mir nachgefahren und bringt mir meine Eurocard, die ich beim Bezahlen vergessen habe. Uiuiui - vielen Dank, das war knapp. Ich hatte den Verlust noch gar nicht bemerkt.

9:00 Uhr Abfahrt des Busses vom BSÍ, der mich zum Ausgangspunkt meiner Tour nach Geysir bringen soll. Regen und heftiger SO-Wind. Der Himmel ist einheitlich grau - richtiges "Reykjavík Veður" - wie Óskar sagen würde. Der Bus verläßt die Stadt, der Regen peitscht auf die Windschutzscheibe, der Schnee am Straßenrand ist naß und schmutzig. An aperen Stellen graues, letztjähriges Gras. Jeder Gegenverkehr deckt den Bus mit einer Wolke aus Gischt und Straßenschmutz ein. Es sind nur wenige Fahrgäste im Bus und davon vielleicht nur 2 oder 3, die als Touristen erkennbar wären. Über den niedirgen Paß der Hellisheiði geht der Regen in Schneeregen über, teilweise bleibt sogar etwas Naßschnee auf der Straße liegen. Hinunter nach Hveragerði weicht der Schnee zurück, die Wolken schieben düster und grau vom Atlantik heran und lassen die ganze Landschaft endlos trostlos erscheinen. Ich bin niedergeschlagen, frustriert und weiß überhaupt nicht was ich machen soll. Meine Stimmung ist auf Null gesunken und mein Vorhaben kommt mir aberwitzig vor. Erst weiter nördlich, bei Skálholt, zeigen sich im Norden und im Süden Aufhellung und damit Hoffnungsschimmer. Mein Stimmungsbarometer macht einen ersten vorsichtigen Ruck in Richtung Hoch. Der Blick prüft die Schneelage seitlich der Straße. Nur im Windschatten des Straßendammes hat sich genug Altschnee erhalten um einen einigermaßen zusammenhängendes Schneeband für einen Schlitten zu bieten. Wird es am Geysir überhaupt genug Schnee geben? Wenn nicht, kann ich mit dem Bus noch weiter bis zum Gullfoss fahren. Die 10 Kilometer vom Geysir bis zum Gullfoss sollen eigentlich Auftakt und letzter Test zugleich sein, bevor es dann am zweiten Tag "richtig" losgeht. Wenn aber dort nicht genug Schnee liegt kann ich die Tour vergessen! Endlich Ankunft am Geysir. Ich glaube, daß ich unmittelbar neben der Straße genug Schnee finden werde und beschließe doch schon von hier aus zu starten. Als einziger der 5 verbliebenen Fahrgäste steige ich aus.

Ein kräftiger SO-Wind und leichter Regen empfangen mich. Trotzdem ziehe ich die Überhose an, für den Fall, daß es doch wieder richtig losgeht. Die Cafeteria der Tankstelle und das Hotel sind geschlossen. Ich wuchte den Schlitten auf die andere Straßenseite vor den Eingang zum Thermalfeld mit den berühmten heißen Quellen. Heute haben nur vereinzelte Besucher hierher gefunden. Allenfalls ein "Fly Bus" bringt Stopover-Touristen direkt vom Flughafen Keflavík zum Sightseeing und dann schnell zurück zum Anschlußflug. Und auch ich lasse heute den Geysir und seine kleineren Brüder im wahrsten Sinne des Wortes links liegen.

Nach etwas umständlichen Vorbereitungen geht es um 12:15 Uhr los. Mit einem Ruck ziehe ich die Pulka an und mache mich auf den Weg zum Gullfoss. Die Schuppen der Ski greifen gut und ich halte mich mit 2-3 Metern neben dem Straßenrand wo am meisten Schnee liegt. Der Altschnee ist ziemlich feinkörnig, weich und mit hat sich mit Regen und Schmelzwasser vollgesogen. Von der nicht asphlatierten Straße her ist er zusätzlich mit Steinen, Sand und Dreck durchsetzt. Eigentlich ist es weniger Schnee, als ein wässrige, schwärzlich graue Suppe. Die Pulka saugt sich fest und bremst, sie will geschleppt werden! Zwei Brücken unterbrechen mein Schneeband und zwingen mich zu kraftraubenden Portagen (ein überaus treffender Begriff aus der Welt der Kanufahrer). Ich muß zweimal gehen. Erst nur mit Rucksack und Ski, dann die unhandliche Pulka allein. Weiter bei stürmischem Gegenwind. Alte Snowscooterspuren erleichtern manchmal die Schinderei, da in ihnen der Schnee weniger weich ist. Aber dann biegen sie nach Süden ab. Es ist mühsam, sehr mühsam und langsam. Ich wage kaum die Anstrengung der ersten Kilometer auf die Strecke hochzurechnen, die noch vor mir liegt. Auf der Höhe des letzten bewitschafteten Hofes Brattholt wird der Schnee härter, teilweise geht es über alte Eisschichten und auf 1-2 Kilometer komme ich schneller voran und gewinne wieder etwas an Zuversicht. Der Wind hat nachgelassen, der Regen aufgehört und kurz vor dem Gullfoss kommt sogar die Sonne heraus - so was gibt's! Das letzte Stück dieser kurzen Etappe hat mich versöhnt.

gifs/img0014.jpg(91 KB) Am Gullfoss

Unweit des vor wenigen Jahren errichteten Gebäudes "Sigriðurstofa" das neben einer Austellung über den Gullfoss auch sanitäre Einrichtungen für die sommerlichen Touristenmassen enthält, baue ich mein Zelt auf. Der Spalt zwischen Schnee und Überzelt decke ich mit leichten Schneeschollen ab, da mein Zelt keine Schneelappen besitzt. Das nahe Gebäude ist ist nicht verschlossen, beheizt und verfügt auch über fließend Warmwasser. Im Sommer ist hier Campen nicht gestattet, aber jetzt bin ich ein einzelner, einsamer Besucher, der die Abendsonne genießt. Eine kleine Cessna zieht im Tiefflug einige Schleifen über dem Gullfoss überfliegt mich, und der Pilot winkt mir aus dem geöffneten Kabinenfenster zu.

gifs/img0015.jpg(108 KB) Gullfoss

Etwas im Zelt gedöst - war ganz schön fertig und habe nun einen Riesenhunger. Koche mir einen indonesischen Reistopf. Abendspaziergang zum Wasserfall. Die Wasserführung ist jetzt im Winter natürlich ziemlich gering aber der Eisbesatz ist trotz der relativ milden Witterung der letzten Tage noch recht eindrucksvoll. Aufgehender Vollmond über allen Schattierungen von Blautönen des Eises. Bilder gemacht. Vom Süden her ziehen allerdings dunkle Wolken auf und beschleunigen das Einbrechen der Dunkelheit. Im Zelt dann Aufzeichnungen. Mit leisem Geräusch treffen erste Schneeflocken auf das straff gespannte Außenzelt und rutschen sacht scharrend von ihm ab. Es beginnt kräftiger zu schneien aber es kommt kein Wind auf. Die Temperatur beträgt im Zelt +2°C als ich meine Kerzenlampe anzünde steigt sie auf +6°C. Es ist schon nach 22:00 Uhr, werde schlafen, es gilt viel nachzuholen.


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3. Tag Gullfoss - Bláfell