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Der Farmer Ţorsteinn von Svartignúpur
(svarti == schwarz, gnúpur = Bergspitze) mochte
60 Jahre alt sein; ein heller Leinenanzug umschlotterte
seine mageren Glieder, ein großes, einem Schlapphut
ähnliches Gebilde bedeckte seinen Kopf, fast sein feines
Proßl mit schöner Hakennase und seinen langen dunklen
Bart verhüllend. Sein Äußeres glich einem Anachoreten,
jeder Luxus, jeder Genuß schien ihm fremd, er sah
aus, als könne er nur arbeiten und darben, seine leise
Sprache und das zurückhaltende Wesen verstärkten
den Eindruck bescheidener Anspruchslosigkeit.
Fast immer war sein jüngster Sohn, der dann
beständig seine Hand hielt, an seiner Seite — er war
ein pfiffig und fidel ausschauendes Bürschchen von
ungefähr sieben Jahren — sein Gesichtsausdruck war reichlich
so intelligent, wie der unserer gleichaltrigen Schulbuben.
Er schien originelle Einfälle über uns und unser
Reise-Unternehmen zu haben, denn wenn eine Pause
entstand in der Unterhaltung von Sigurđur, Ţorsteinn
und Jón, machte er schnell und leise einige scheinbar
humoristische Bemerkungen, bei denen er uns
unverwandt anschaute, die dann von den drei Männern mit
behaglichem Wohlwollen aufgenommen wurden.
Besonders an diesem Morgen ward vor unserem
Weiterritt eine lange Unterhaltung der Isländer
untereinander gepflogen. Wenn man nach solchen, oft länger
als Viertelstunden dauernden Verhandlungen kein an-
deres Resultat erhielt als: "— the man says it's impossible
to cross the river, where Mr. Reck wants to", durfte
man nicht unwillig werden. Oft habe ich da Herrn
Recks unerschütterliche Ruhe und Geduld gegenüber
diesen endlosen Vornehmungen bewundert.
Der älteste Sohn Ţorsteinns begleitete uns bis zur
nächsten zwei Stunden entfernten Farm, — immer ritten
wir durch nach Süden sanft abfallendes Wiesenland über
die Farm Asar und kreuzten dann auf einer guten
starken Brücke die wilde, tiefe Skaptá.
Hierauf arbeiteten wir uns durch ein Fluß-Labyrinth;
mehr als zwanzig breite und reißende Arme waren zu
durchreiten. Die ganze Ebene bestand aus Lava und ist ein
Teil des kolossalen Stroms von Laki, welcher im Jahre
1783 viele Quadratmeilen fruchtbaren Landes für
immer vernichtete, hunderte von Ansiedlungen
zerstörte und Menschen und Vieh tötete. Jahrelang noch
wirkte in den umliegenden Distrikten diese Katastrophe
nach durch Hungersnot, Epidemien und große Armut.
(Amund Heiland: Lakis Kratere og Lavaström me.
Kristiania. 1886.)
Die Lava ist zum geringen Teil von etwas
Vegetation bedeckt, Moose, Flechten, einige genügsame
Blumen und hie und da Grashalme beleben
unbedeutend die meilenweite Ebene.
Nachdem wir neun Stunden geritten, kamen wir
Skál gegenüber aufs Neue an die Fluten der Skaptá.
Die Farm Skäl lehnt sich an eine hohe steile
Bergwand, an deren Grashängen viele Schafe weideten.
Hier befand sich ein Boot und auf lautes Rufen
unserer Führer erschien am gegenüberliegenden Ufer
in der Tür der Farm ein junges Mädchen, welches mit
großer Geschicklichkeit die starke Strömung
überwindend mit dem Boot kam, Herrn Reck und mich
herüberzuholen, während Führer und Pferde vorsichtig
auf der sehr schmalen und gefährlichen Furt
hindurchtrabten.
Wir waren aber in Skál noch nicht am Ziel
unseres Tagesritts. Mit dem Farmer wurde in
überraschender Kürze beschlossen, daß seine Tochter uns
auf einem Richtpfad über die Berge führen sollte,
wodurch wir zwei Stunden Ritt sparten und nach wenigen
Minuten schon ritt sie uns voran, den steilen Hang
hinauf.
Die kurze Zeit der Verhandlung hatte aber die kleine
Isländerin nicht etwa benutzt um Toilette zu machen
zu einem Wege von für sie mindestens fünf Stunden in
der Mitte der dämmerhellen Nordlandsnacht, oder um
ihren Sattel aus der Farm zu holen, nein, so wie sie
uns, schnell auf den Ruf der Führer aus dem Hause
laufend über den Fluß gerudert hatte, so kletterte sie
auch, flink wie ein Kätzchen, ohne Bügel, ohne Zügel,
auf eins unserer freien Pferde, ein Reserve-Zaumzeug
wurde schnell befestigt und vorwärts gings. Nach einer
Viertelstunde mühsamen Kletterrittes lag die Farm schon
tief unter uns. Allmählich erreichten wir eine Höhe von
reichlich 300 m. Zur Rechten erstreckte sich tief im
Tal unter uns der Lavastrom. Im Duft der Ferne
zerflossen seine Grenzen mit dem Horizont.
Der Palagonitrücken, auf dessen Höhe wir ritten,
fiel fast überall nahezu senkrecht ab, riesige Säulen und
Pfeiler des finsteren Gesteins ragten, von der Erosion
umnagt, vereinzelt aus dem dämmernden Abgrund tief,
tief unter uns empor. Und an der Bergwand und
über dem unendlichen Lavameer zu seinen Füßen kein
Laut, - auf Meilen keine Ansiedlung, keine lebende Seele,
ewige große Einsamkeit.
Nach ungefähr zwei Stunden war der Bergrücken
gekreuzt und ein steiler Abfall führte zu einem breiten,
völlig von einem See erfüllten Tal. Wie eine matt-
silberne Platte leuchtete die weite Wasserfläche in dem
Mitternachtslicht und die malerischen Formen zackiger
Berge im Hintergrunde des Tals zeichneten sich,
oxydiertem Silber gleich, in lichtgrauen Tönen auf die
kristallklaren Tinten der Himmelskuppel.
Unendliche Mengen schneeigen Wollgrases
verbrämten die Ufer und schmückten die vielen Inseln
des Sees.
Die junge Isländerin, ein hübsches, frisches Mädchen,
versuchte mehrfach eine Unterhaltung mit mir
anzuknüpfen. Bei meiner bereits angedeuteten Kenntnis
des Isländischen, die zwar im Zunehmen begriffen war,
wagte ich nicht recht darauf einzugehen. Sie mochte
mir ansehen, wie sehr ich ihre schöne Heimat
bewunderte, und hätte vielleicht gern von dem Troll
erzählt, der nach der Sage in diesen Bergen hauste.
Sie führte uns noch durch viele Wasserarme, welche
am Ende des Tales einen Fluß in den See überleiteten
und wurde von Jón, da sie doch unser Pferd geritten
hatte, wieder über das Wasser gebracht, nachdem sie
nur auf Zureden zwei Kronen, die ihr viel zu viel
dünkten, für ihre Wegweisung angenommen hatte.
Sie mußte dann wohl noch drei Stunden wandern,
bis sie ihre Heimatfarm erreichte, - allein in der lichten
Nacht, über die wilden einsamen Berge.
Nach weiteren zwei Stunden, die uns an der
gegenüberliegenden Seite des Sees wieder bergauf, höher
und höher geführt hatten, erreichten wir über den
Wolken, durch deren dichte, nasse Schleier wir
geritten waren, die Farm Holt, wo wir also um l Uhr a. m.
eintrafen.
Auch hier umwogten uns noch Nebelschwaden,
alles war trübe verhüllt, triefend von Feuchtigkeit, nur
die nächste Umgebung erkennbar. Die Zelte wurden
gesetzt, die Kisten geöffnet und ich bemühte mich, vier
Dosen derselben Suppe und des Nachgerichts
zusammenzufinden. Es war unmöglich, bei der matten Beleuchtung
aus den Einzelbuchstaben der zerkratzten Etiketts die
Titel festzustellen. Wir aßen ein undefinierbares
Durcheinander, das zwar in der Folge heillose Verwirrung
in meinem festen Wochenplan anrichtete, das uns aber
vorzüglich schmeckte, nicht nur weil wir hungrig waren.
Es wärmte und belebte köstlich, hatten wir doch wie
immer unsere zwölf Stunden Ritt hinter uns, während
welcher Zeit wir, so lange unser Reisen in Island
währte, nie mehr als den Sattelbissen von 1/4 Pfund Velma-
Suchard und sechs Cakes zu uns nahmen; nicht immer
wurde diese schmale Ration durch frisches Quellwasser
verschönt.
Sigurđur hatte sich, so wie die Zelte gesetzt waren,
in eine Unterhaltung mit ;dem Farmer von Holt vertieft,
- galt es doch für uns zu erfahren, wie wir von hier nach
Laki kommen würden und ob wir dasselbe in einem
Tage erreichen könnten.
Die beiden Männer saßen mit der Karte in der
Hand auf einem Torfwall, welcher die Wiese umschloß
und manches „Ha?" (Was?) und „Heldur" (wörtl. über-
setzt == lieber, gebraucht im Sinne des englischen „I say")
tönte zu uns herüber. Fast vergaß Sigurđur sein Mittag
über dieser Konferenz. Nachdem er dann den Tee
getrunken, begab er sich aber noch mit Jón und dem
üblichen: „Well, I must go and see what the grass is
like here!" auf seinen Inspizierungsgang zu den
geliebten Pferden. Herr Reck rauchte — wie immer
schweigend — sein Pfeifchen und voller Erwartung,
was uns der kommende Tag bringen möge, starrten wir
gedankenvoll in den Nebel der Wolkenschwaden, hinter
deren Grenzen sich schon wieder leuchtend das
Tagesgestirn über den Horizont erhob, nur unseren Blicken
verhüllt, wie so vieles, das die Zukunft für uns bewahrte.
Um 2 Uhr a. m. war Ruhe in Holt, um 9 Uhr a. m.
mußte ich das Frühstück wieder bereit haben.
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