Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel VI.

Durch die Skaptártunga nach Holt.


Der Farmer Ţorsteinn von Svartignúpur (svarti == schwarz, gnúpur = Bergspitze) mochte 60 Jahre alt sein; ein heller Leinenanzug umschlotterte seine mageren Glieder, ein großes, einem Schlapphut ähnliches Gebilde bedeckte seinen Kopf, fast sein feines Proßl mit schöner Hakennase und seinen langen dunklen Bart verhüllend. Sein Äußeres glich einem Anachoreten, jeder Luxus, jeder Genuß schien ihm fremd, er sah aus, als könne er nur arbeiten und darben, seine leise Sprache und das zurückhaltende Wesen verstärkten den Eindruck bescheidener Anspruchslosigkeit.

Fast immer war sein jüngster Sohn, der dann beständig seine Hand hielt, an seiner Seite — er war ein pfiffig und fidel ausschauendes Bürschchen von ungefähr sieben Jahren — sein Gesichtsausdruck war reichlich so intelligent, wie der unserer gleichaltrigen Schulbuben. Er schien originelle Einfälle über uns und unser Reise-Unternehmen zu haben, denn wenn eine Pause entstand in der Unterhaltung von Sigurđur, Ţorsteinn und Jón, machte er schnell und leise einige scheinbar humoristische Bemerkungen, bei denen er uns unverwandt anschaute, die dann von den drei Männern mit behaglichem Wohlwollen aufgenommen wurden.

Besonders an diesem Morgen ward vor unserem Weiterritt eine lange Unterhaltung der Isländer untereinander gepflogen. Wenn man nach solchen, oft länger als Viertelstunden dauernden Verhandlungen kein an- deres Resultat erhielt als: "— the man says it's impossible to cross the river, where Mr. Reck wants to", durfte

man nicht unwillig werden. Oft habe ich da Herrn Recks unerschütterliche Ruhe und Geduld gegenüber diesen endlosen Vornehmungen bewundert.

Der älteste Sohn Ţorsteinns begleitete uns bis zur nächsten zwei Stunden entfernten Farm, — immer ritten wir durch nach Süden sanft abfallendes Wiesenland über die Farm Asar und kreuzten dann auf einer guten starken Brücke die wilde, tiefe Skaptá.

Hierauf arbeiteten wir uns durch ein Fluß-Labyrinth; mehr als zwanzig breite und reißende Arme waren zu durchreiten. Die ganze Ebene bestand aus Lava und ist ein Teil des kolossalen Stroms von Laki, welcher im Jahre 1783 viele Quadratmeilen fruchtbaren Landes für immer vernichtete, hunderte von Ansiedlungen zerstörte und Menschen und Vieh tötete. Jahrelang noch wirkte in den umliegenden Distrikten diese Katastrophe nach durch Hungersnot, Epidemien und große Armut. (Amund Heiland: Lakis Kratere og Lavaström me. Kristiania. 1886.)

Die Lava ist zum geringen Teil von etwas Vegetation bedeckt, Moose, Flechten, einige genügsame Blumen und hie und da Grashalme beleben unbedeutend die meilenweite Ebene.

Nachdem wir neun Stunden geritten, kamen wir Skál gegenüber aufs Neue an die Fluten der Skaptá. Die Farm Skäl lehnt sich an eine hohe steile Bergwand, an deren Grashängen viele Schafe weideten. Hier befand sich ein Boot und auf lautes Rufen unserer Führer erschien am gegenüberliegenden Ufer in der Tür der Farm ein junges Mädchen, welches mit großer Geschicklichkeit die starke Strömung überwindend mit dem Boot kam, Herrn Reck und mich herüberzuholen, während Führer und Pferde vorsichtig auf der sehr schmalen und gefährlichen Furt hindurchtrabten.

Wir waren aber in Skál noch nicht am Ziel unseres Tagesritts. Mit dem Farmer wurde in überraschender Kürze beschlossen, daß seine Tochter uns auf einem Richtpfad über die Berge führen sollte, wodurch wir zwei Stunden Ritt sparten und nach wenigen Minuten schon ritt sie uns voran, den steilen Hang hinauf.

Die kurze Zeit der Verhandlung hatte aber die kleine Isländerin nicht etwa benutzt um Toilette zu machen zu einem Wege von für sie mindestens fünf Stunden in der Mitte der dämmerhellen Nordlandsnacht, oder um ihren Sattel aus der Farm zu holen, nein, so wie sie uns, schnell auf den Ruf der Führer aus dem Hause laufend über den Fluß gerudert hatte, so kletterte sie auch, flink wie ein Kätzchen, ohne Bügel, ohne Zügel, auf eins unserer freien Pferde, ein Reserve-Zaumzeug wurde schnell befestigt und vorwärts gings. Nach einer Viertelstunde mühsamen Kletterrittes lag die Farm schon tief unter uns. Allmählich erreichten wir eine Höhe von reichlich 300 m. Zur Rechten erstreckte sich tief im Tal unter uns der Lavastrom. Im Duft der Ferne zerflossen seine Grenzen mit dem Horizont.

Der Palagonitrücken, auf dessen Höhe wir ritten, fiel fast überall nahezu senkrecht ab, riesige Säulen und Pfeiler des finsteren Gesteins ragten, von der Erosion umnagt, vereinzelt aus dem dämmernden Abgrund tief, tief unter uns empor. Und an der Bergwand und über dem unendlichen Lavameer zu seinen Füßen kein Laut, - auf Meilen keine Ansiedlung, keine lebende Seele, ewige große Einsamkeit.

Nach ungefähr zwei Stunden war der Bergrücken gekreuzt und ein steiler Abfall führte zu einem breiten, völlig von einem See erfüllten Tal. Wie eine matt- silberne Platte leuchtete die weite Wasserfläche in dem Mitternachtslicht und die malerischen Formen zackiger Berge im Hintergrunde des Tals zeichneten sich, oxydiertem Silber gleich, in lichtgrauen Tönen auf die kristallklaren Tinten der Himmelskuppel.

Unendliche Mengen schneeigen Wollgrases verbrämten die Ufer und schmückten die vielen Inseln des Sees.

Die junge Isländerin, ein hübsches, frisches Mädchen, versuchte mehrfach eine Unterhaltung mit mir anzuknüpfen. Bei meiner bereits angedeuteten Kenntnis des Isländischen, die zwar im Zunehmen begriffen war,

wagte ich nicht recht darauf einzugehen. Sie mochte mir ansehen, wie sehr ich ihre schöne Heimat bewunderte, und hätte vielleicht gern von dem Troll erzählt, der nach der Sage in diesen Bergen hauste.

Sie führte uns noch durch viele Wasserarme, welche am Ende des Tales einen Fluß in den See überleiteten und wurde von Jón, da sie doch unser Pferd geritten hatte, wieder über das Wasser gebracht, nachdem sie nur auf Zureden zwei Kronen, die ihr viel zu viel dünkten, für ihre Wegweisung angenommen hatte.

Sie mußte dann wohl noch drei Stunden wandern, bis sie ihre Heimatfarm erreichte, - allein in der lichten Nacht, über die wilden einsamen Berge.

Nach weiteren zwei Stunden, die uns an der gegenüberliegenden Seite des Sees wieder bergauf, höher und höher geführt hatten, erreichten wir über den Wolken, durch deren dichte, nasse Schleier wir geritten waren, die Farm Holt, wo wir also um l Uhr a. m. eintrafen.

Auch hier umwogten uns noch Nebelschwaden, alles war trübe verhüllt, triefend von Feuchtigkeit, nur die nächste Umgebung erkennbar. Die Zelte wurden gesetzt, die Kisten geöffnet und ich bemühte mich, vier Dosen derselben Suppe und des Nachgerichts zusammenzufinden. Es war unmöglich, bei der matten Beleuchtung aus den Einzelbuchstaben der zerkratzten Etiketts die Titel festzustellen. Wir aßen ein undefinierbares Durcheinander, das zwar in der Folge heillose Verwirrung in meinem festen Wochenplan anrichtete, das uns aber vorzüglich schmeckte, nicht nur weil wir hungrig waren. Es wärmte und belebte köstlich, hatten wir doch wie immer unsere zwölf Stunden Ritt hinter uns, während welcher Zeit wir, so lange unser Reisen in Island währte, nie mehr als den Sattelbissen von 1/4 Pfund Velma- Suchard und sechs Cakes zu uns nahmen; nicht immer wurde diese schmale Ration durch frisches Quellwasser verschönt.

Sigurđur hatte sich, so wie die Zelte gesetzt waren, in eine Unterhaltung mit ;dem Farmer von Holt vertieft, - galt es doch für uns zu erfahren, wie wir von hier nach Laki kommen würden und ob wir dasselbe in einem Tage erreichen könnten.

Die beiden Männer saßen mit der Karte in der Hand auf einem Torfwall, welcher die Wiese umschloß und manches „Ha?" (Was?) und „Heldur" (wörtl. über- setzt == lieber, gebraucht im Sinne des englischen „I say") tönte zu uns herüber. Fast vergaß Sigurđur sein Mittag über dieser Konferenz. Nachdem er dann den Tee getrunken, begab er sich aber noch mit Jón und dem üblichen: „Well, I must go and see what the grass is like here!" auf seinen Inspizierungsgang zu den geliebten Pferden. Herr Reck rauchte — wie immer schweigend — sein Pfeifchen und voller Erwartung, was uns der kommende Tag bringen möge, starrten wir gedankenvoll in den Nebel der Wolkenschwaden, hinter deren Grenzen sich schon wieder leuchtend das Tagesgestirn über den Horizont erhob, nur unseren Blicken verhüllt, wie so vieles, das die Zukunft für uns bewahrte.

Um 2 Uhr a. m. war Ruhe in Holt, um 9 Uhr a. m. mußte ich das Frühstück wieder bereit haben.


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