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Nach 1 1/2 Stunde Rittes von Kiling kamen wir an
die Námskvísl, die wir vor zehn Tagen als harmlosen
Bach gekreuzt hatten. Merklich hatte sie sich verändert;
die Führer trieben die Packpferde hinein. Kaum
im Wasser, verloren diese den Boden, erreichten aber
tapfer gegen die starke Strömung schwimmend das
jenseitige Ufer. Drüben liefen sie dann schleunigst
weiter, um trocken zu werden undd Gras zu finden.
Da hielten wir nun vor dem vielverzweigten, jetzt
tiefen und reißenden Strom, — durchschwimmen wollten
wir ihn nicht, — unsere bei der Ausreise von
Reykjavík mit Rücksicht auf die Packpferde stark reduzierte
Kleidungsausrüstung hätte uns kaum Ersatz genug
geboten. —
Nachdem erfolglos die beiden Führer abwechselnd
an verschiedenen Stellen des Flusses nach einem
geeigneten Übergang suchten, die Packpferde jenseits
einen immer größeren Vorsprung gewannen, gelang es
endlich nach einer halben Stunde Zeitverlustes SigurQur,
uns leidlich trocken drüben zu landen. Dort am Ufer
bleiben zu können, wäre recht einladend gewesen, wir
waren alle müde genug von unseren verschiedenen
kühlen und feuchten Fluß-Aufenthalten, aber nicht ein
Halm Gras wuchs dort und — die Packpferde waren
ja mit Zelten, Konserven etc. auf und davon, also
ihnen nach.
Nach einer Stunde Reitens fanden wir sie an
einem bescheidenen grünen Fleckchen friedlich grasend;
weiter gings.
Jetzt entwickelte sich wie mehrfach zuvor, bei
Pferd und Mensch, wenn sie das Ziel nahe fühlen,
das Verlangen nach stärkstmöglichem Tempo, und wie
die wilde Jagd fegten wir denn auch über alles hinweg,
daß Sand und Steinchen uns um die Ohren sausten
und nach einem ermüdenden, wenn auch kurzen
Tagesritt erreichten wir um 8 Uhr abends den Zeltplatz
Löđmundur. Der weite Talkessel, von schönen Bergen
umragt, an denen nur die Schneenecke wenig
abgeschmolzen waren, bot uns schon einmal Ruhe, —
murmelnd floß der frische Bach wie damals, — kehrten
wir nach zwanzig Jahren dorthin zurück, wir würden
alles ebensowenig verändert finden wie jetzt nach einer
Abwesenheit von zwölf Tagen. — Ewigkeitsruhe der Natur,
deren Harmonie uns durchnutet, wo nicht die täglichen
Nichtigkeiten der Zeit die Fäden lockern, die uns selbst
mit der Ewigkeit verbinden.
Um 11 Uhr am nächsten Vormittag zogen wir
weiter, zuerst drei Stunden lang auf die Hekla zu, bis
wir nach Kreuzung der Helliskvisl diese Richtung
verließen, und nach Norden reitend, nach weiteren drei
Stunden über Lava und Sande an dem besprochenen
Tungná-Boot ankamen.
Die Tungná ist hier zirka 300 m breit, aber sehr
tief und reißend. Das Gestein zwingt ihren Lauf, nicht
mehr kann sie selbst wählen und sich kilometerbreit
ausdehnen; sausend, wirbelnd, schäumend quirlen die,
sich gegenseitig überstürzenden graugelben Wasser an
uns vorüber, wie ergrimmt über den Zwang, den auch
das Gefälle, das sie zu noch größerer Schnelligkeit
anzutreiben scheint, ausübt. Der Versuch, ihrer
Wellenbewegung mit den Augen zu folgen, macht einen
schwindeln.
Zwei Boote lagen diesseits, eins genau gegenüber.
Zuerst wurden die Pferde abgeladen und abgesattelt,
darauf trieben die Führer sie flußaufwärts auf eine
Sandbank und jagten sie von dort mit Hülfe von Peitsche
und Steinwürfen in den Fluß hinein. Tapfer schwimmend
wurden sie doch von der Strömung weit mitgerissen,
so daß sie genau an der dem Boot gegenüberliegenden
flachen Uferstelle landeten. Im Trab jagten sie dem
fernen Gras zu und nach wenigen Minuten war nichts
mehr von ihnen zu erblicken.
Sigurđur und Jón packten unterdessen Kisten und
Sättel in das Boot, Herr Reck und ich stiegen ein und
die beiden Führer ruderten gewandt, zuerst mit äußerster
Kraft gegen den Strom, — es war eine etwas schwindlige
Sache und recht befriedigend glücklich drüben zu landen.
Noch zwei mal wurde das Boot mit Kisten beladen
herübergerudert und Herr Reck schaffte alles auf das
höhere Land.
Sollte ich mich nicht auch ein wenig nützlich
machen können? Wir wußten, daß eine Flußkreuzung
in der Art wie wir sie jetzt vornahmen, da das
Davonjagen der Pferde dabei unvermeidlich war, mindestens
vier Stunden Zeit in Anspruch nahm, — etliche Stunden
Ritt hatten wir aber außerdem heute noch vor uns.
Ich begab mich daher mit meiner Peitsche bewaffnet
schleunigst landeinwärts in der Hoffnung, vielleicht eine
Spur von den lieben, ausgerissenen Tieren zu entdecken.
Wirklich, nach zwanzig Minuten Wanderns sah ich sie
in einiger Entfernung friedlich grasen. Ich umging sie
und es gelang mir dem sanftesten von ihnen einen
Zaum, aus meiner Gamasche kunstvoll gefertigt,
anzulegen. Leider besaß ich nicht die Gewandtheit der
kleinen Isländerin von Skäl mich ohne Bügel
hinaufzuschwingen, sonst wäre es mir vermutlich gelungen,
alle Pferde zum Bootplatz zu treiben. Eines brachte
ich aber, die anderen folgten langsam, beständig
weiterfressend. Sigur9ur war sehr erfreut, schnell sprang er
auf, Jön folgte ihm mit den Zäumen, binnen kurzem
waren alle Pferde zur Stelle und, wie sie mir sagten,
eine Stunde gespart durch mein Bemühen. Um 9 Uhr
konnten wir den Bootplatz wieder verlassen. Lange
Zeit noch hatten wir die rauschende Tungnä neben uns.
Wir kamen an die Stelle, wo die Kaldakvisl in sie ein-
mündet, ein weiter See dehnte sich hier, — bleiern schien
die Wasserfläche zu ruhen, aber das Zwielicht täuschte,
fast ohne Laut jagten die Massen ihrem fernen Ziel,
dem Ozean zu.
Die Kaldakvísl sah der Tungná zum Verwechseln
ähnlich, es schien nicht als könnten wir sicherer durch
diesen Fluß zu den Fiskivötn gelangen, als durch
die Tungná-Furt am Kirkjufell.
Auf Thoroddsens Karte von Island zieht die
Kaldakvisl als ein bescheidenes Flußfädchen an der
Westgrenze der Piskivötn-Gegend entlang, — aber mehr
als ein Bericht Reisender spricht von der hohen
Lebensgefahr, die bei ihrem Durchreiten droht.
Um 12 Uhr nachts — der Zwielichtsstunde —
machten wir am Ufer der Kaldakvisl Halt. Jón war
äußerst mißlaunig, kaum wollte er essen, — fand er
doch die Furt der Kaldakvísl, von der er viel erzählt
hatte, nicht wieder.
Den nächsten Morgen zog er mit Sigurđur an den
Fluß, — nach drei Stunden kehrten sie zurück mit der
Nachricht, es sei unmöglich, hindurchzureiten.
Wären die Fiskivötn unser Endziel gewesen und
hätten wir in der Gegend einige Wochen bleiben können,
bis die Gletscherschmelze abgenommen, dann hätten
wir uns wohl jetzt einen Durchritt erzwungen. Wir
konnten aber nicht riskieren, daß, wenn wir nach sechs
Tagen zurück wollten, der Fluß noch mehr gestiegen sei.
Herr Reck mußte einen seiner Lieblingspläne
aufgeben, — wir beide mußten uns bescheiden, die
Fiskivötn nicht zu erreichen. Jetzt leben sie weiter in
der Phantasie als das unbekannte Paradies der
malerischen Seen, der wilden Schwäne, der
unerforschbaren Naturwunder.
Wenn ich Jón Trausti's Einleitung zu „Heiđarbýliđ"
lese, tritt mir die Szenerie der erträumten Fiskivötn
lebendig vor die Seele und in den wachen Träumen auf
dem Pferderücken malte ich mir das Land, das ich nie
sehen sollte.
Nordwärts ging es, über den Sprengisandur nach
Akureyri.
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