4. Tag, Bergvatnsá - Grænalón

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Dieter Graser © 2014

Montag, 19. Juli 2010


Mið-Bergvatnsá
Die Sonne brennt auf's Zelt und weckt mich. Ein perfekter Morgen! Klarer Himmel und kaum ein Hauch von Wind. Habe schnell das Bild von Zelt, Bach und Gletscher nachgeholt, das ich schon seit meiner Ankunft gestern im Hinterkopf habe. Werde heute Morgen den Bach weiter nach Norden und Süden erkunden. Der Bach wird überwiegend von Grundwasser gespeist und hat dadurch einen fast ausgeglichen Abfluss ohne größere Wasserstandsschwankungen. Daher gibt es auch kein Hochwasserbett. Meine Erkundungsgänge ergeben auch diesmal keine Spur der heißen Quelle Guðlaug.

Gegen Mittag breche ich Richtung Grænalón auf. Es wäre schön heute den Zeltplatz am Grænafjall zu erreichen, dort zu übernachten und morgen wieder zurückzukommen. Nur ein langer Höhenzug trennt mich von dem Gletschersee. Beim Aufstieg komme ich auf eine breite, flache Terrassenebene. Ein kleiner Bach wird zu einem unerwarteten Hindernis. Schon mit Annäherung an das Bächlein wird der Boden weich und nach etwas stochern mit dem Trekkingstock versinkt dieser haltlos im Untergrund: Quicksand. Vorsicht also! Ein zweiter Anstieg bringt mich auf den Höhenzug und unter mir liegt der Grænalón und seine mächtigen Sedimentterrassen und der Eiskante des Skeiðarárjökull. In der Ferne kann ich erkennen, dass auf dem Zeltplatz am Grænafjall ein helles Zelt steht. Komme bald wieder auf meine alte Route von vor vier Jahren, steige auf ihr Richtung See ab und erreiche die weiten Sandterrassen. Das erste breite Bachtal, das ich vor vier Jahren furten musste, ist troken. Da muss sich wohl etwas am Zufluss geändert haben. Die Stelle an der ich die große Furt über die Grænalónsjökullsá, dem Zufluss zum See, geschafft hatte bietet eine Überraschung. Da wo ich damals nur 2 - 3 m zum Gletscherfluss hinunter kommen konnte, stehe ich nun an einer hohen Abbruchkante. Das Tal hat sich tiefer eingeschnitten, was nur als eine Folge einer Seespiegelabsenkung geschehen sein kann. Finde sechs Fußpuren im Sand und folge ihnen Richtung See hinaus. Dort muss die Abbruchwand aus instabilem Sand ja zwangsläufig niedriger werden. Auch der der Fluss gefällt mir gar nicht. Sein Wasser ist dunkelbraun und die Strömung ist beängstigend stark. Das warme Wetter sotgt für jede Menge Schmelzwasser. Wie zur Bestätigung wälzt die Flut einen großen Eisbrocken mit sich. Wie groß er ist, kann ich kaum abschätzen - hier fehlt jeder Vergleichsmaßstab. Ich kann nur hoffen, dass alles größer aussieht als es in Wirklichkeit ist.


Grænalón

Schließlich erreiche ich die Stelle, an der Uferböschung niedrig genug ist und die Fußspuren zum Fluss hiuntergehen. Haben die gestern gefurtet? Ich mache mich für ein "ernste" Furt bereit und starte einen ersten Versuch. Das trübe, undurchsichtige Gletscherwasser ist flacher, als vermutet und so komme ich gut durch die ersten 20 m bis zum ersten Stromstrich. Das Wasser dort knietief aber die Strömung ist derartig stark, dass ich mich kaum mehr auf den Beinen halten kann. Zurück! Ein zweiter Versuch weiter flussab endet mit dem gleichen Ergebnis. Kaum komme ich in die richtige Strömung, so ist diese schon zu strak - und dabei bin ich erst ganz am Anfang der Querung! Nein, hier und heute geht das nicht. Ich breche ohne Reue ab. Was nun?

Ich ändere die Planng und werde also nicht am Grænafjall übernachten. Da müsste ich auch am nächsten Morgen den selben Weg durch die Furt wieder zurück. Also werde ich den "Standardroute" nach Süden zur Núpsá nehmen. Diese Route führt über den Pass, der Anfang des letzten Jahrhunderts noch der Hauptabfluss des Grænalóns war. Das bedeutet, der Seespiegel war damals etwa 150 m über dem heutigen Niveau! Wenn man heute unten am See steht so ist diese Situation kaum vorstellbar.

Graenalón
Bevor ich aufbreche braucht erst einmal das GPS neue Batterien, denn im Trakking Mode frisst es Strom. Nach dem Austausch bekomme einen richtigen Schreck: die Topo-Karte von Island wird nicht mehr angezeigt. Ich checke das Gerät durch und entdecke, dass ich beim Batteriewechsel versehentlich die Speicherkarte entriegelt habe. Uff - da muss man erst mal drauf kommen! Andererseits, wenn ich so meine Position im GPS anschaue, dann laufe ich gerade weit im Wasser des Sees - genauer: da wo mal der See war. Was mit mehr Sorgen macht, sind die Toteislöcher und die Absackungen im Sand es ehemaligen Seebodens, die auf verborgenes und langsam tauendes Eis hinweisen, was zu instabilen Hohlräumen führen kann.

Warte
Das Seeende ist schnell umrundet und nach einer der Querung der Mündung einer bedeutenderen Schlucht, die vom Berg herunterzieht, mache ich mich an den Austieg. Bei einer Steinwarte mache ich Brotzeit. Es ist 15:00 Uhr und seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen. Spendiere der Warte noch einen schönen dreieckigen Abschlussstein. Weiter oben am Hang sind in einer schönen, zweiten Warte, die offensichtlich einen Vermessungspunkt markiert, zwei große Osbsidianbrocken verbaut.

Schneehuhn
Am Pass der einmal der Abfluss des Grænalóns war, bleibe ich westlich eines kleinen Sees und dann auch auf der westlichen Talseite unterhalb des Núpsártangi. Nach dem Anstieg geht es leicht und entspanned bergab nach Süden. Ich bin in Gedanken und schrecke auf, als direkt vor meine Füßen ein Schneehuhn mit laut klatschenden Flügeln emporsteigt. Ich weiß nicht, wer mehr erschrocken ist, das Schneehuhn oder ich. Wahrscheinlich ich, denn das hervorragend getarnte Schneehuhn saß bis zum letzten Augenblick auf seinem Gelege, in das ich beinahe hineingetreten bin.

Gelege
Puhhhh - das ist noch einmal gut gegangen. Das besorgte Schneehuhn hat sich nicht weit von seinem Nest entfernt und ich erwische es noch mit dem Teleobjektiv. Weiter geht es nun neben einem kleinen Bach, der sich fast im Talgrund verliert. Bald wird das Tal steiler und der Bach verschwindet über einen klaren Wasserfall, den ich nicht überklettern kann, in einer Klamm. Also etwas zurück und die Stelle am rechten Talhang umgangen.

Badegumpen
Wenig weiter sehe ich im wieder geweiteten Talgrund einen schöne Stelle für das Zelt. Es ist 18:00 Uhr und es reicht mir für heute. Als das Zelt steht und eingerichtet ist, schnappe ich mir das Handtuch und gehe zur nächsten Engstelle der Schlucht. Und richtig, auch hier gibt es einen schönen kleinen Wasserfall mit einem Badegumpen. Leider liegt schon der Schatten zwischen den Felswänden, aber das Wasser ist erstaunlich warm. - Pah! Was brauche ich einen Hot Pot? Zurück im Zelt Abdendessen gekocht und an den Aufzeichnungen.

Anmerkung:
Auf der Tour 2012 erreichten wir die Sandebene des Grænalóns auf dem gleichen Weg. Wie befürchtet hat sich der See in den vergangenen zwei Jahren noch weiter verkleinert und der Zufluss sich entsprechend weiter eingetieft. Der See bestand 2012 nur noch aus einem Teil, der direkt der Eiskante vorgelagert ist. Seine Fläche hat sich in den zwei Jahren grob auf ein Viertel verringert. Auf dem freigelegten, flachen Seeboden hat sich ein großes, weitgefächertes Flussdelta ausgebildet. Eine Querung des Zuflussen war am Beginn des Deltas gefahrlos möglich. Dort transportiert der Gletscherfluss aufgrund seiner Fließgeschwindigkeit noch gröberen Kies oder ablagert lagert ihn, somit ist die Gefahr des Einsinkens in Quicksanden verringert. Luftbilder aus dem Jahr 2013 zeigen, dass der See im folgenden Jahr noch weiter geschrumpft ist.

Grænalón 2012
Das Furten war an dieser Stelle 2012 dann problemlos möglich. Das Gletscherwasser im Fluss war zu diesem Zeitpunkt maximal knietief und die Furt 550 m breit. Wir erreichten den Zeltplatz auf der obersten Seeterrasse am Graenafjall und bleiben dort für zwei Nächte, bevor wir bei bestem Wetter den Skeiðarárjökull Richtung Sorðurdalur und Skaftafell überquerten.


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