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Dank Wecker früher Aufbruch um 7:30 Uhr. Ich will vor Mittag an der kritischen Furt über die Núpsá sein. In dem flachen
Talboden vor mir wechselt die Núpsá von einem Talrand zum andern und versperrt der Weg über das Schotterfeld des
Hochwasserbettes. Um ein Furten zu vermeiden zwängt sich der Pfad knapp über dem Talboden am steilen, manchmal felsigen
Hang durch das Birkenunterholz. Immer wieder verhängt sich der Rucksack im Gestrüpp oder man hat Äste im Gesicht. Nur
zwischendurch kann man auf eine der Kiesbänke ausweichen.
die Klippe
Für die zwei Kilometer bis zum "offiziellen" Zeltplatz mit einem einfachen Toiletten- und Waschhäuschen brauche ich eine
Stunde. Hier versperrt auch ein über ein paar Pfosten gespanntes Seil pro forma die Weiterfahrt für Fahrzeuge, die über
die Piste über den Skeiðarársandur hier her kommen. Die Piste, die zur Ringstraße führt, erleichtert natürlich auch mein
Vorankommen erheblich. Endlich kann ich Gas geben und Kilometer machen. Nach einem weiten Schlenker im Verlauf der Piste
erreiche ich meinen Wegpunkt Súla. Der Karte nach sollte hier die Súla, der Gletscherfluss des westlichsten Teils des
Skeiðarárjökull, dem Súlujökull sein. Aber hier finde ich nur ein trocken gefallenes Flussbett. Der Fluss, der auch den Abfluss
des Grænalóns bildet, hat sich wahrscheinlich durch den allgemeinen Gletscherrückgang weiter nach Osten verlagert. Immerhin
habe ich dadurch eine kritische Furt weniger als befürchtet.
Lómagnúpur
Ich gehe ein wenig am Ufer entlang und suche mir eine breite Stelle mit möglichst wenig Strömung und mache mich ans Furten.
Hosen aus, Neoprensocken und Furtsandalen an und die Schuhe hoch am Rucksack befestigt. Wenig Strömung bedeutet mehr Tiefe.
Immerhin ist das Wasser doch so tief, dass die Böden von Rucksack und Fototasche naß werden - die Unterhosen ebenfalls.
Ansonsten bereitet mir die Furt keine Probleme. Es hat seit über einer Woche nicht mehr geregnet und der Wasserstand scheint
heute eher niedrig zu sein. Am Berghang am anderen Ufer ist trocknen und Mittagspause angesagt. Die verbleibenden vier Kilometer
bis zur Ringstraße sind dann schnell abgespult.
Ringstraße
Núpsstaður
Willys Jeep * * *
Der Blick zurück, aus einiger Entfernung, zeigt gut den Verlauf der Route und dass es keinen anderen Weg über die Steilstufe
gibt als über die Kette an der Klippe. Mache zwei Fotos dieser Schlüsselstelle, als ich mal aus dem Gebüsch rauskomme. Beim
Queren eines kleinen Seitenbaches versacke ich bis an die Waden im weichen Sand und es laufen mir Wasser und Sand in die
Stiefel - Grrrr!
Der Weg über den Sander ist ziemlich eintönig. Linkerhand nach den letzten, schwarzen Endmoränen breitet sich die flimmernde Weite
des Skeiðarársandurs aus. Im Süden, hebt eine Fata Morgana die weiten Brücken der Ringstraße an den Núpsvötn über den Horizont.
Nur rechts, im Westen begleiten mich wild zertalten Bergänge, die erst mit dem Lómagnúpur in einer 670 m Hohen Klippe enden.
Gegen 11:30 Uhr erreiche ich die Furt über die Núpsá. In selben Moment quert ein typisch isländisches Geländewagenmonster den
Fluss. Unterhalte mich kurz mit dem Fahrer, der vier aufgeregte Touristen Richtung Núpsstaðarskógar bringt.
Und nun? Den Daumen raus für die acht Kilometer bis zu meinem Auto? Wird wohl keiner anhalten, weil er befürchtet ich will bis
Reykjavík mitgenommen werden. Acht Kilometer auf dem Teer der Ringstraße sind die Hölle für Seele und Füße. Zu Fuß bist du im
Hochland selbst auf F-Pisten der König - zumindest ein Held. Hier auf der Ringstraße bist du der Arsch. Kein Moospolster oder
Stein zum kurz Absitzen und Ausruhen, kein Bach zum trinken, keine Blumen am Weg. Ich krieche wie eine Schnecke. Fluche über
die Lastwagen, deren Windsog mir die Mütze vom Kopf reißt. Nie ist mir aufgefallen, das Autos so laut sind.
Endlich am legendären Hof Núpsstaður, der dem Wald an der Núpsá und dieser ganzen Tour den Namen gegeben hat. Der Hof
mit seinen alten Torfhäusern, dem ebenfalls in die Jahre gekommenen "neuen Haus", der winzigen alten Trofkirche mit ihren
einfachen Altar von 1789. Kein Reisender, im vorautomobilen Zeitalter, der hier auf dem letzten Hof, nicht Rast und
Unterkunft suchte und fand, bevor er sich auf die lange und gefährliche Querung des Skeiðarársandurs wagte. Sehr oft geschah
dies nur in Begleitung der Bauern von Núpsstaður, die auch das Amt des Postboten versahen, und über die Erfahrung und die
wassergeübten Pferde besaßen, um die reißenden Gletscherfüsse zu durchqueren. So wurden auch die Bewohner von Núpsstaður zur
Legende. Aber mit dem Tod des letzten Bewohners Filippus Hannesson ( + 27. Mai 2010) im Alter von 100 Jahren ist diese Zeit
vorbei. Sein alter, ebenso legendärer Willys Jeep steht noch auf der Wiese vor dem Hof.
Von einem gelben Straßenbegrenzungspfahl zum nächsten gehe ich weiter Richtung Rauðaberg und bin dankbar um jede leichte Kurve
der Straße, denn sie bringt Abwechslung. Ein schwer beladener Radler kommt mir entgegen und wir blecken beide die Zähne zu
einem Begrüßungsgrinsen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kann ich mein blaues Auto auf dem Parkplatz an der Djúpá entdecken.
Aller Frust ist wie weggeblasen. Ich lege einen höheren Gang ein und setze zum Endspurt an. Um 15:15 Uhr ist die Runde nach
sechs Tagen geschlossen.