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6. Tag, Bláfjöll - Sleggjubeinsdalur

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Copyright © Dieter Graser

Freitag, 13. Juli 2001


BláfjöllBláfjöll
Bin endlich mal wieder frühzeitig (7:50 Uhr) losgekommen. Auch heute wieder perfektes "Bergwetter". Gehe ein kurzes Stück auf der Straße, welche die Skilifte miteinander verbindet. Nach wenigen hundert Metern finde ich wieder die gelb-blauen Markierungspflöcke. Stetig ansteigend umgeht der Weg den Kamm der Bláfjöll im Süden über die Heiðin há. Auf der Ostseite der Bláfjöll wird noch der Kerlingarhnjúkur (630 m) mitgenommen. Dann folgt ein langer Abstieg bis auf 340 m ü. NN. Phantastische Fernsicht auf Eyjafjalla-, Mýrdals- und Tindfjallajökull und weiter nördlich bis zur Hekla. Im Gegenlicht spiegelt das Meer und die breite Mündung der Ölfusá. Draußen wie Scherenschnitte die Vestmannaeyjar. An einer windgeschützten, grasigen Stufe mache ich Pause und genieße die Aussicht. Nach dem Abstieg zum Fjallið eina macht mir zunehmend der schneidend kalte Nordwind zu schaffen.

Leitiam Leiti
An einem kleinen See (Wegpunkt TJORN) mache ich Halt, tanke Wasser und döse etwas in der Sonne. Es ist 11:30 Uhr. So gut ich heute Morgen drauf war, jetzt bin ich einem Motivationsloch. Der An- und der Abstieg haben Kraft gekostet. Am Krater Leiti mache ich Mittagspause. Ein offensichtlich neu aufgestellter Wegweiser bestätigt mir, nach immerhin 90 Kilometern zum erstenmal, daß ich mich auf dem Reykjavegur befinde. "Sleggjubeinsdalir 13 km" lese ich - nanu, das sind 3 km mehr als ich aus der Karte gelesen habe. Vorbei an den beiden Kratern Syðri- und Nyðri Eldborg. Nach dem letzteren führt der Weg über ein hoch aufgeworfenes Lavafeld, in dem man kaum ein paar Schritte geradeaus gehen kann. Man überklettert hohe Wälle, steigt in tiefe Löcher ab, versucht nicht an großen, scharfkantigen Brocken hängenzubleiben, tritt auf wackelnde Trümmer und Moos, das tückische Löcher verdeckt, und windet sich langsam auf den Lambafell zu. Lavafelder sind Geduld- und Kraftproben und verlangen Trittsicherheit. Ohne Trekkingstöcke würde ich mich hier äußerst unwohl fühlen. Gerade noch ohne Zuhilfehahme der Hände geht es den Rand des Lavafeldes hinunter und dann noch die 20 Höhenmeter hinauf zur Lambafellsskarð. Endlich wieder verlässlicher Untergrund.

Kurze Pause. Von der Ringstraße herauf dringt Verkehrslärm. Langsam steige ich hinunter zur Straßenkreuzung. Die nächsten 3 km führt der Reykjavegur entlang der Ringstraße. Fühle mich so deplaziert wie ein Spaziergänger auf der Salzburger Autobahn. Es ist Freitag Nachmittagverkehr. Halb Reykjavík ist auf der Flucht ins Wochendende und hetzt Richtung Hveragerði. Nutze eine Lücke in der Kolonne um auf die linke Straßenseite zu wechseln, da ist weniger Verkehr und ich sehe ihn wenigstens kommen. Viel Schrott neben der Straße. Alle paar Meter leere Apfelsinensafttüten mit Plastikhalm - Der Tetrapack-Leithorizont. Die meisten Autos ziehen entweder einen Campinganhänger hinter sich her, oder sind bis unters Dach beladen. Im Lärm der dicken Reifen rauschen die Geländewagen vorbei - auf in die Natur! Gesichter kann ich nur für Sekundenbruchteile hinter den Windschutzscheiben erkennen. Bleiche Hamburger-und-Fritten-Zombies im T-Shirt und Sonnenbrille. Was muss eigentlich jede zweite Beifahrerin im Handschuhkasten kramen? Ich glaube ich bin nicht mehr ganz zurechnungsfähig, leide an Verfolgungswahn oder schon an Hochlandpsychose. Endlich kann ich links abbiegen und den Albtraum hinter mir lassen. Nehme den Verkehr als eine Welt wahr, die mit meiner (der für mich wirklichen - das nehme ich in Anspruch!) nichts gemein hat. Nein, ich bin heute noch keinem Menschen begegnet, das da eben waren nur Autos. Ich lasse die Ringstraße hinter mir - bis zum Mývatn? Nicht dran denken. Obwohl ich es aus Erfahrung weiß, daß es möglich ist, kann ich es mir im Moment nicht vorstellen, es ist noch zu weit weg.

Die Pflöcke verlaufen in etwas Abstand zu der Schotterstraße in die Slegjubeinsdalir. Jetzt am späteren Nachmittag ziehe ich es vor auf der Straße zu gehen. Ich kann vor mich hintrotten ohne auf meine Schritte achten zu müssen. Müde und mit brennenden Füßen bringe ich die 2-3 km bis ins Slegjubeinsdalir hinter mir. Nach der Beschreibung umgeht der Reykjavegur das Hengill-Massiv im Westen. Die Pflöcke ziehen aber zielstrebig über die Buckelwiesen in den Talwinkel hinein und biegen nicht wie erwartet links ab um den Hangfuß des Húsmúli zu folgen. Ich stapfe jetzt über die Wiese und bin gespannt wo mich die Pflöcke hinführen. Wieder ein paar Skilifte die aussehen wie aufgelassene Kohlenzechen mit planierten Abraumhalden. Auch wieder diese verrammelten Hütten. Ich folge den Pflöcken bis in die steile Hammragil und finde dort auch das dringend benötigte Wasser und einen Platz für das Zelt. Oben in der Schlucht verwehte Schwaden einiger Dampfquellen. Nachdem der Himmel sich am Nachmittag bezogen hat fängt es jetzt wie bestellt an zu regnen.

Es ist 17:00 Uhr und ich bin ziemlich fertig. Kaum gedöst. Koche mir mein Abendessen: Chili con Carne und inspiziere danach die etwa 200 weiter unten am Bach gelegene gelegene dreieckie Hütte. Ist das "die" Hütte, die es hier geben soll? Vor dem verschlossenen Eingang liegen 4 volle, aber teilweise zerfetzte Müllsäcke und ein Blick durchs Fenster zeigt, daß es drinnen nicht viel beser aussieht. Was mir mehr Bedenken bereitet ist die Tatsache, daß die gelb-blauen Markierungen tatsächlich weiter in die Schlucht hinaufführen. Da drohen einige steile Höhenmeter! Werde ihnen morgen folgen - konnte ich mich bisher auf die Markierungen gut verlassen.


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7. Tag Sleggubeinsdalur - Stangarháls