3. Tag, Reykjavík - Sveinstindur

Inhalt Home

Copyright © Dieter Graser

Samstag, 13. Juli 2002


Der Wecker piepst um 5:20 Uhr - grunz. Es regnet. Döse noch einige Minuten. Ungefrühstückt packe ich im Zelt meinen Rucksack. Halb im Liegen stopfe ich meine Habseligkeiten mehr schlecht als recht hinein und schleppe ihn dann unter das Vordach an der Platzrezeption. Naß wie es ist, wurstle ich noch das Zelt zusammen. Werde geade noch fertig bis um 7:15 Uhr der Bus zum BSÍ eintrifft. Wie üblich ist die Fuhre brechend voll. Vom Busbahnhof BSÍ aus werden sich dann all die unausgeschlafenen Rucksackträger mit Hilfe der Überlandbusse über die Insel verteilen.

Endlich Zeit das Frühstück nachzuholen. Bei einem Kaffee warte ich auf Jósef und seine Wandergruppe von Útivist. Jósef ist ein alter Bekannter und arbeitete früher bei der Energiebehörde und nun beim Wetteramt. Ihn hatte ich auf meiner Sprengisandurtour 1996 unter denkwürdigen Umständen auf der Fimmvöršuháls-Hütte getroffen. Bei den Vorbereitungen zu meiner diesjährigen Tour war er mir mit wertvollen, aktuellen Informationen behilflich. Ihm habe ich es auch zu verdanken, daß ich nun mit seiner Gruppe mit dem Bus zum Ausgangspunkt meiner Tour zur Sveinstindur-Hütte fahren kann. Bei "Flótt og Gott" haut mich ein junger Isländer um einen "Painkiller" an und ich gebe eine Runde Aspirin aus. Er hat einen mächtigen Hangover. Vor der Busstation sammeln sich mehr und mehr wanderwillige Islander und schließlich trifft auch schulterklopfend Jósef ein. Steige doch fast in den falschen Bus. Plaudere mit einer charmanten Isländerin. Helfe, ganz Gentleman, noch die Rucksäcke verladen, bis es sich herausstellt, daß sie vom Feršafélag Íslands ist und eine Wandegruppe über den "Alten Kjalvegur" führt. Schnell zerre ich meinen Rucksack wieder heraus und verstaue ihn schließlich im richtigen Bus. Werde wohl mit dem knorrigen Jósef vorlieb nehmen müssen.

Bei Nebel, strakem Wind und Regen Fahrt über die Hellisheiši nach Hveragerši und weiter duch das etwas freundlichere Südland. Unterhalte mich lange mit Jósef, der mir weitere wertvolle Tips geben kann. Erfahre von ihm auch, daß es mit dem Ausbau der Hütten auf dem Reykjavegur nicht voraneht. Die Hütten sind mit dem Geld der Betreibergesellschaft der Geothermalkraftwerke gebaut worden, gehören aber den Gemeinden. Diese kümmern sich aber nicht richtig darum und eine Einigung und Zusammenarbeit mit dem Wanderverein Útivist kam auch nicht zustande. Das Ergebnis konnte ich im letzten Jahr begutachten: die Hütten sind versperrt und nutzlos. Irgendwann brechen irgendwelche Leute ein und Fenster gehen dabei zu Bruch usw. Frühe Mittagspause in Vík. Ich schlage mir noch mal den Bauch voll, denn ab jetzt gibt es 3 Wochen Tütenfutter. Kaufe die neue Fjallabak Karte von Mál & Menning. Habe sie vor 2 Wochen beim Verlag bestellt gehabt, aber das war wohl zu kurzfristig um sie noch vor dem Abflug geliefert zu bekommen. Vor Kirkjubęrarklaustur biegen wir nach Norden auf den Fjallabaksleiš ab. Bei der Hütte Hólaskjól wird das Gepäck auf den Anhäger des Jeeps des Hüttenwartes umgeladen. Er wird es direkt zur Sveinstindur-Hütte bringen, denn der Bus kan die letzten Kilometer zur Hütte nicht befahren. Ich behalte meinen Rucksack aber bei mir. Nur mein Futterpacket für die zweite Woche fährt mit dem Jeep.

Wieder gibt mir Jósef während der Fahrt gute Tips über den Routenverlauf zur Hütte am Álftavatnakrók. Nach Passieren der Eldgjá auf der Höhe des Heršubreišarháls Nebel, Sturm und Regen. Die Blicke der Wanderer im Bus sind nicht gerade begeistert - meine auch nicht. Eigentlich würde heute noch die Besteigung des Sveinstindur auf dem Programm stehen. Aber so wie es draußen saut ... Westlich des Heršubreišarháls biegen wir nach NE ab und folgen der Nżšriófęrá. Viele kleine Furten, etwas grünes Moos und viel schwarzer Sand. Die Wolken jagen von Süden durch die Scharten zwischen den Bergkämmen und verhüllen die Gipfel. Jósef und die Gruppe beschließen auf den Gipfel heute zu verzichten und den Sveinstindur vom Ende des Langisjórs aus zu umrunden. Ich will direkt zur Hütte gehen und werde an einer mit Pflöcken markierten Route abgesetzt. "Just follow the stiks to the hut" ruft mit Jósef noch durch den Sturm zu und hüpft wieder in den Bus.

Karte Sveinstindur
Da stehe ich erst mal im schwarzen Sand und der Regen peitscht mir aus Südost entgegen. Ich versuche mich wetterfest zu machen. Es ist 14:40 Uhr und ich packe meine Stöcke und schiebe mich den Pflöcken und der Fahrspur folgend gegen den Wind. Die Kartenkopien sind tief im Rucksack vergraben, der Kompass ebenso. Wenigstens das GPS ist griffbereit. Aber wie hat Jósef gesagt? - ich brauche ja nur den Pflöcken zu folgen! Den Fahrspuren nach zu urteilen bin ich ja auf der Piste, deren groben Verlauf ich im Kopf habe ... so denke ich zumindest. Aber die Spur biegt mir etwas zu früh nach links in ein enges Tal ab und die Pflöcke führen dann sowohl nach links, wie auch nach rechts den Hang hinauf. Die Himmelrichtung schätze ich grob nach dem Wind, aber irgendwie paßt das ganze Tal nicht zu dem Bild der Karte, das ich im Kopf habe. Toll! Kaum bin ich eine halbe Stunde zu Fuß unterwegs, schon weiß ich nicht mehr wo ich bin. Willkommen in Island, Dieter! Also höchste Zeit das Satelitenorakel zu befragen! Ich nehme mit jeweils etwa 400 Meter Abstand eine Position als "Basislinie". Nach dem GPS muß sich die Hütte 800 m südöstlich von mir befinden. Wie bitte, südlich? Ich hätte sie in nördlicher Richtung vermutet. Anhand der Richtung meiner Basislinie bestätigt mir, daß ich trotz fehlender Anhaltspunkte, zumindest das Gefühl für die Himmelsrichtung nicht verloren habe. Also folge ich den nach rechts abbiegenden Pflöcken und Fußspuren nach Süden den Hang hinauf. In der Scharte angekommen fallen mich heftige Windböen an. Aber nun habe ich den Blick hinunter zur Skaftá und ein gutes Stück flußabwärts kann ich die Pegelhütte erkennen. Von der Sveinstindur-Hütte ist aber nichts zu sehen. Allmählich ahne ich, wo ich mich befinde und kann meine Position auch auf der imaginären Karte in meinem Kopf einordnen. Es geht steil den Hang hinunter und der Wind wird schwächer. An einer geschützten Stelle kann ich die neue Karte herauskramen ohne zu riskieren, daß sie zerfetzt wird. Jetzt ist mir vieles klarer. Auch wenn mir die Lage der Hütte nach Studium der Karte erst mal ein Rätsel bleibt. (Tatsächlich ist die Lage der Hütte auch in dieser neuen Karte falsch eingezeichnet!) Das GPS meint noch 400 m bis zur Hütte. Ich folge weiter dem markierten Pfad und sehe plötzlich 50 Meter vor mir die hinter einer Hangkante verborgen gewesenen Sveinstindur-Hütte.

Hütte SveinstindurHütte Sveinstindur
Erst mal suche ich in der Hütte Schutz. Der Hüttenwart von Hólaskjól hat mit dem Jeep die Rucksackberge schon angeliefert. Koche mir eine heiße Schokolade und setze dann den großen Wassertopf für die Gruppe auf. Baue dann mein Zelt etwa hundert Meter von der Hütte entfernt auf. Der Platz ist eben und moosig, hängt aber ein bischen nach der Seite. Der Wind ist hier unten an der Skaftá gar nicht mehr so stark und das Zelt steht ruhig. Als Jósef und seine Gruppe von Ihrer Tour zurückkommen überlasse ich ihnen die Hütte und gönne mir ein Nickerchen in meinem Zelt. Am Abend dann noch in der Hütte ein wenig mit den Isländern geplaudert.


Zurück zu Inhalt
nächster Tag