15. Tag, Hvanngil - Hrafntinnusker

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Copyright © Dieter Graser

Donnerstag, 25. Juli 2002


Starker böiger Wind während der Nacht. Habe den Wecker erst mal ignoriert. Um 7:00 Uhr dann doch auf und gefrühstückt. Der Regen hat aufgehört und einzelne Sonnenstrahlen finden ihren Weg durch die tiefen, schnellziehenden Wolken.

Stóra Súla
Um 9:30 Uhr starte ich schließlich in Richtung Álftavatn. Am Stallgebäude, das zur Hütte gehört, suchen ein paar Reitertouristen auf der windabgewandten Seite Schutz und warten darauf, daß ihnen die gesattelten Pferde gebracht werden.

Bratthálskvísl
Am Bratthálskvísl, der ersten Furt, begegne ich einem Österreicher. Mangels Furtsandalen watet er in in Socken durch den Bach. Das läßt die Kälte des Wassers und die Steine nicht so spüren. Danach wringt er sie gründlich aus und steigt damit wieder in seine Bergschuhe. Wir kommen ein wenig ins Gespräch und er erzählt mir begeistert von den Bergen im Skaftafell und was für eine Entdeckung sie für ihn waren. Auf der anderen Seite des Baches kommt eine isländische Wandergruppe zur Furt. Auch Sie sind Richtung Süden, also von Landmannalaugar nach Þórsmörk unterwegs. Einen Kilometer weiter erreiche ich die beiden Hütten am Álftavatn. Endlich kann ich die Bilder für das Hüttenverzeichnis nacholen die mir noch fehlen. Dann lasse ich mich vom Rückenwind das Tal hinauf nach Norden treiben. Ich bin unschlüssig, ob ich heute noch zur Hrafntinnusker Hütte aufsteigen soll. Das Wetter ist alles andere als ideal. Der steile Aufschwung zum Jökultungur steckt mit seinem oberen Drittel in Wolken, die mit bemerkenswerter Geschwindigkeit an der Bergflanke entlangziehen. Oben auf dem Plateau wird Sturm und schlechte Sicht herrschen. Ein erster, früh aufgestandener Wanderer kommt mir entgegen. Ich erkundige mich nach den Wetterverhältnissen oben. "Geht schon" meint er "... aber kein Spaß". Na ja, eigentlich geht es mir mehr drum etwas von der Landschaft zu sehen.

Ich beschließe trotzdem weiterzugehen. Die Furt am Grashagakvísl ist wie das letzte Mal gerade noch trockenen Fußes zu schaffen und dann beginnt der teilweise bösartig steile 400-Höhenmeter-Aufstieg zum Jökultungur. Ich kenne den Anstieg und lasse mir Zeit, viel Zeit, steige langsam aber kontinuierlich. Es geht schnörkellos nach oben. Die Stöcke sind jetzt eine große Hilfe und so kann ich den "Allrad" einschalten. Der Weg ist erdig und so steil, daß man den Fuß nicht mehr ganz aufsetzen kann. Ein "Wadelspanner" erster Güte. Aber in den letzten Jahren habe ich mir die Technik angeeignet Schrittlänge und -frequenz genau so anzupassen, daß ich immer einen gleichbleibenden Atemrythmus halten kann. Es macht Spaß diese Technik wieder zu erproben. Nach der ersten Steilstufe wird es kurz flacher und im Windschutz eines großen Felsblockes mache ich mich regenfest. Je höher ich steige, um so mehr nimmt der Wind zu. Bald hat mich die absinkende Wolkendecke geschluckt, aber es dauert nicht mehr lange und ich habe das Ende des Anstieges erreicht.

Reger Gegenverkehr von kleineren und größeren Gruppen. Alle, ohne Ausnahme, fragen: "Wie weit ist es noch zur nächsten Hütte?" Erste Dampfquellen, Schwefelgeruch, ekelhaft schmieriger, gleblich weißer Lehmboden. Der Weg macht einen Schwenk zurück und ich muß ein Stück gegen den Wind absteigen. Mit wie zwei Flügel ausgebreiteten Armen lasse ich mich spielerisch, anstrengungslos den Hang hinuntertreiben nur durch den tosenden Wind gestützt und gebremst. Aber schon an der nächsten Biegung peitscht und knallt mir wieder Graupel und Regen schräg von links hinten an die Anorakkapuze. Meist schiebt der Wind, manchmal versucht er mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Entgegenkommenden haben es deutlich schwerer, und ich schäme mich fast für meinen Vorteil. "Wie weit ist es noch bis zur nächsten Hütte?" Die Sicht beträgt zwischen 50 und 100 Meter. Der ausgetretene Weg ist mit kurzen Pflöcken gut markiert und nicht zu verfehlen. Man scheint eine Unzahl von 2 - 5 Meter tiefen Gräben, die in ihrem Grund noch altschneegefüllt sind, queren zu müssen. Kurz vor der Hrafntinnusker Hütte reißt es etwas auf und ich kann für einen kurzen Moment die umgebende Landschaft erahnen. Aber schon zieht es wieder zu und dichter jagender Nebel umgibt mich. An den reichen Obsidianbrocken und an der Anzeige des GPS merke ich, daß ich in die Nähe der Hütte komme. Schließlich taucht sie direkt über mir schemenhaft aus dem Nebel auf.

Im Vorraum ist noch genug Platz, meine nasse Klamotten zum Trocknen aufzuhängen. Heute will ich lieber nicht zelten. Es ist 16:00 Uhr und die Hütte ist noch nicht sehr belegt. Aber es sollen noch mehr Gäste kommen. Ich bekomme einen Platz im Lager unter dem Dach zugewiesen. Sitze dann mit 3 netten Holländern unten in der Küche um einen Tisch und wir unterhalten uns bestens. Tropfnaß, müde und erschöpft vom Kampf gegen den Wind treffen immer wieder kleinere Gruppen ein, die von Landmannalaugar herauf kommen. Eine weing robuste Französin ist so fertig, daß sie bleich, zähneklappernd, zitternd und etwas orientierungslos in der Küche steht und ich ihr erst einmal von meinem frisch angebrühten, heißen Tee mit viel Zucker anbiete. Das wirkt Wunder. Eine große Gruppe Isländer trifft ein und belegt den für sie reservierten Raum im Erdgeschoß. Ich zaubere für die Holländer eine Mousse au Chocolat aus meinen Vorräten. In Landmanlaugar erwarten mich neue Vorräte. Meine Dortmunder Lagernachbarn bekommen auch noch was ab. Endgültig kritisch wird die Lage in der Hütte, als gegen 20:00 Uhr noch eine Gruppe von 10 Engländern ankommt. Im Windschatten der Hütte versuchen einige ihr Zelt aufzubauen. Nach einer Stunde geben sie es entnervt auf. Vielleicht weil der Sturm inzwischen ihr Zelt geschrottet hat. Um Platz zu machen verziehen wir uns schon um 21:00 Uhr von der Küche in die Lager. Es braucht noch lange bis etwas Ruhe einkehrt. Immer wieder knallt der Sturm die Türe zu und es jault recht heftig ums Gebälk. Schlafe trotzdem einigermaßen gut.


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