9. Tag, Skeišarárjökull

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Copyright © 2004 Dieter Graser

Montag, 5. Juli 2004


Klarer, fast wolkenloser Morgen. Im Zelt -6°C. Reif auf der Innen- und Außenseite des Zeltes. Koche Tee und würge schnell das Müsli in mich hinein, packe zusammen und schaffe den Start um 7:30 Uhr. Der Schnee ist perfekt. Die Oberfläche ist hart gefroren und nicht einmal zu Fuß breche ich ein. Eine glitzernde Reifschicht macht den Schnee griffig und so haben die Schuppen der Ski einen guten Abstoß. Mit dem GPS bestimme ich meinen Kompasskurs und präge mir den Winkel zu dem Kverkfjöll ein. Sie sollten für's erste schräg rechts von mir liegen.

Aufbruch
Zügig und leicht gleite ich durch eine schier unendlich weite Glitzerwelt. Die Pulka zischt leise und fast ohne Widerstand hinter mir. Locker finde ich in meinen Rythmus. Weit pendeln die Arme, die Stöcke setzen in spitzem Winkel ein und machen beim Durchziehen nach hinten Druck. Ein ruhiger Diagonalschritt mit leichter Gleitphase - wie in einer Loipe. Es kann alles so einfach sein. Mich überkommt Euphorie. Glücksgefühl überschwemmt mich. Es ist wieder einmal einer dieser Momente auf einer Tour in denen sich alles fokusiert, alle Anspannung sich löst und alle Emotionen frei werden. Ich lasse ihnen freien Lauf, empfinde nur noch Glück.

Um 9:00 Uhr habe ich einen sanften Rücken überschritten und es geht nun leicht bergab. Ich merke es daran, daß die Ski noch besser gleiten und direkt voraus auf Kurslinie kann ich jetzt den Grímsfjall erkennen. Weiter südlich liegt die die flache Kuppe der Háabunga. Es sind noch über 30 km bis zum Grímsfjall, dem Kraterrand des subglazialen Vulkans der Grímsvötn. Die Karte unterscheidet in der flach von Süden ansteigende Rampe die Svíahnúkar (Svíahnúkur vestri, Svíahnúkur eystri), den jeweils westlichen und östlichen "Schwedengipfel" und bezeichnet nur den Absturz hinunter in den meist eisbedecketen Kraterboden der Grímsvötn als den Grímsfjall. Auf dem Svíahnúkur eystri stehen die bekannten Hütten des JÖRFÍ die als vulkanologische Forschungsstationen genutzt werden. Jetzt im Sommer ist der Gipfel leicht zu erkennen da Teile des Gipfelbereiches durch austretende Dämpfe schneefrei gehalten werden. Wenn die Sicht weiter gut bleibt ist die Orientierung ab jetzt einfach: ich brauche nur auf den Gipfel des Grímsfjalls zuhalten. Das GPS brauche ich jetzt nur noch zur Entfernungsbestimmung. Bis Mittag will ich den Wegpunkt "FLAT" erreichen, das sind 12 km. Dann will ich noch so weit gehen, wie die nachmittäglichen Schneeverhältnisse mir dann noch erlauben. Um 10:00 Uhr weiß ich mich nicht mehr anders vor der Sonne zu schützen, als daß ich mir trotz der Wärme die dünne Sturmhaube überziehe. Die Nase wird bei jeder Pause dick eingeschmiert und ich habe die dünnen Langlaufhandschuhe angezogen, da ich mir die Sonne die Handrücken verbrannt hat.

Wie gewünscht erreiche ich Mittags den Wegpunkt. Aber jetzt noch mal so locker 12 km abspulen ist nicht mehr möglich. Ich bin etwas tiefer gekommen. Der Schnee ist naß, ich breche ein und die Pulka will wieder gezogen werden. Der Himmel hat sich mit einer hohen Wolkenschicht bezogen und in dem Zwielicht kann ich kaum den Schnee vor mir erkennen. Die Euphorie des Vormittags ist verflogen - jetzt herrscht Katerstimmung. Die jungfräuliche, glatte Schneedecke die ich heute Morgen hatte bekommt mehr und mehr Löcher in denen schmutziger, buckliger Altschnee zu Tage tritt. Auch hat die Sonne im Laufe des Vormittages ganze Arbeit geleistet. Die Schneequalität verschlechtert sich rapide.

Abendsonne
Ich nehme mir vor mich noch bis 16:00 Uhr durchzubeißen, bis dahin sollte ich die Entfernung zum Grímsfjall auf weniger als 20 km verkürzt haben. Mangels landschaftlicher Merkmale bestimmt die Uhr mein Ziel. Irgendein Ziel brauche ich. Aber Zeit hat die Eigenschaft sich zu dehnen je öfter man auf die Uhr schaut. Die letzten Minuten die letzte Viertelstunde wird zur Willensleistung. Schließlich durchbreche ich das widersinnige Diktat der Uhr und ramme un 15:55 Uhr meine Stöcke in den Schnee. Mir reicht's. Ich bin fertig für heute. Schließlich habe ICH die Kontrolle über meinen Tagesablauf nicht die Uhr!

Wie auf dieser Tour üblich brauche ich etwa ein Stunde bis der Lagerplatz vorbereitet und das Zelt aufgebaut und eingerichtet ist. Erschöpft liege ich auf der Isomatte und kontrolliere meine Position. Tatsächlich sind es 19,4 km die mir noch zu den Grímsvötn bleiben. Bei diesen Schneeverhältnissen schaffe ich es morgen kaum bis zur Hütte. Zum Schluß kommen dort noch gut 200 Höhenmeter Anstieg. Selbst wenn der Schnee heute Nacht gefrieren sollte, was nicht sicher ist, wird die Oberfläche bucklig und krustig werden. "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" wäre eine angemessene Rucksacklektüre für diese Tour gewesen. Aufzeichnungen bei einem Becher "Swiss Miss" verfeinert durch einen Schuß Whisky. Draußen absolute Windstille - kaum zu glauben.


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