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11. Tag, Gęsavötn - Öxl

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Copyright © Dieter Graser

Sonntag, 24. Juli 1994


Um 5 Uhr aufgestanden. Nebelbänke über den Seen und an den Berghängen. Es ist windstill, nur ein paar hohe Wolken, durch welche die Sonne langsam durchbricht. Ich rechne mit einem warmen Tag. Auch nicht schlecht, denn für heute stehen einige tiefe und kalte Furten auf dem Spickzettel. Nur 18 Kilometer, aber 6 Furten habe ich aus der Routenbeschreibung und der Karte herausgelesen, und Furten kostet Zeit. Beim Teewasser kochen für das Frühstück zeigt sich, daß mein Gaskartusche doch zu Neige geht. Ich dachte schon die hält ewig.

Morgen an den Gęsavötn
Nach dem Aufbruch geht es in nordwestlicher Richtung immer schön dem Hraunkvísl entlang. Die Nebel haben sich verzogen und es wird wärmer, doch von Osten her ziehen hohe Wolken auf. Nach zweieinhalb flotten Stunden erreiche ich die Wegweiser an der Einmündung der nördlichen Route zur Askja. Kurze Pause und dann über die Brücke über die Skjálfandafljót, dem (vor Kälte?) "zittrigen Fluß". Die Brücke gibt es erst seit wenigen Jahren. Früher mußte man weiter südlich durch eine gefährliche Furt. Die Brücke selbst ist allerdings schon ziemlich ramponiert. Die Geländer und die überragenden Teile der Querbalken sind zerbrochen und hängen seitlich herunter. Ein Hochwasser? (Anmerkung: wahrscheinlich ein Winter- oder Frühjahrshochwasser, bei dem verkeilte Eisschollen die Schlucht einstauen) Beim Blick hinunter, in das zwischen den Felswänden eingezwängte Wasser, darf man es nur hoffen. Aber immerhin muß man diesen Fluß nicht mehr furten.

Skjálfandafljót
Es geht trotz einiger Steigungen zügig weiter bis zur Langadrag. Begegnung mit einem zum Wohnmobil umfunktionierten Bundewehrlaster. Kühl grüßt der Fahrer zurück. Komisch, diese Kisten haben "immer" ein "D"-Schild hinten drauf. Jetzt muß ich aber wirklich die Schuhe ausziehen! Der Fluß Langadrag wird durch eine große Kiesinsel zweigeteilt, auf der man etwa 200 Meter flußauf zur zweiten Querung kommt. Das Wasser ist zwar nur knietief, aber die Strömung ist stark. Als ich mir gerade die Füße abtrockne furten drei isländische Allradfahrzeuge - ich komme also langsam wieder in verkehrsreichere Zonen.

Möbelwagen??? Nach der Landadrag hat es leicht zu regnen begonnen. Es weht dabei ein scharfen Nordostwind. Der hat aber auch sein Gutes, da er mir in den Rücken bläst. Durch den hohen und breiten Rucksack bin ich geschützt und trocken und werde zusätzlich noch kräftig angeschoben. Es geht weiter hinauf zu einem niedrigen Paß am Kambsfell. Es sind einige Schmelzwasserbäche zu queren, aber mit etwas Suchen findet man immer eine Stellem, an der die Steine günstig liegen. Die auf volle Länge ausgefahrenen Skistöcke machen es möglich, trotz schwerem Rucksack, beim Hinüberbalancieren das Gleichgewicht zu halten. Der Weg führt am dem im unteren Teil flachen Nordabhang des Tungafell entlang. Im Norden liegt der kleine Schildvulkan Bokki dessen Krater man erahnen kann. Nach meinem Plan sollte ich hier irgendwo mein Zelt für die Nacht aufschlagen, aber so weit man sehen kann, gibt es hier nur wenig einladendes Steinpflaster. Zudem ist es erst 13 Uhr und ich kann noch eine gutes Stück weiterkommen.

Ich will noch weiter bis zur Furt der Jökulfall, dort habe ich Wasser und vielleicht findet sich auch ein etwas geschützteres Plätzchen. Zudem kann ich den Wasserstand im Auge behalten. Gegen Abend kommt dort zwar der Schmelzabfluß, aber es sieht nach Regen aus und das verbessert die Verhältnisse für morgen Früh auch nicht gerade. "Furt Jökulfall. Sehr tiefer (60 - 80cm) und reißender Gletscherfluß, große Steine im Flußbett, Warnschild" (Dietz). Die Warnschilder sind wirklich da, Fluß ist vielleicht etwas hochgegriffen, aber immerhin ein recht ordentlicher Wildbach. Das Wasser ist trüb und die Strömung ist stark, ich vermute sogar leichten Geschiebetrieb. Die Furt ist durch eine kleine Insel in zwei Etappen zu queren. Als Fußgänger kann ich mir etwas oberhalb zwischen den Felsen eine günstigere Stelle suchen. Dann die übliche Prozedur - Sitzstein suchen, Rucksack ab, Sandalen raus, Stiefel und Socken aus und am Rucksack sichern, Sandalen an, Bundhosen ganz hochkrempeln, Stöcke verlängern und überprüfen, Rucksack wieder auf und dann auf dem ausgesuchten Weg durchs Wasser. Mit dem einen Skistock stütze ich mich flußabwärts ab, der andere sondiert die Wassertiefe voraus. Das Wasser reicht bis halb die Oberschenkel hoch. Auf der anderen Seite läuft die Prozedur dann rückwärts ab, nur daß nun die Füße sorgfältig abgetrocknet werden müssen. Die Sandalen kommen außen an den Rucksack und können dort trocknen und sind für die nächste Furt griffbereit. Mit einem anschließenden Becher heißen Tee braucht so eine Furt eine gute halbe Stunde. Freundlicherweise bricht die Sonne durch und so wird es fast warm bei der Fußpflege. Ein kleiner Geländewagen mit spanischem Nummernschild hält vor der Furt - kurzes Winken zur Begrüßung, Untersetzung rein und durch, daß die Bugwelle über die Motorhaube schwappt. Entweder sie kennen sich aus, oder sie sind ganz schön mutig, dieses Rentnerpaar aus Barcelona!

In der Nähe der Jökulfall ist allerdings auch kein geeigneter Zeltplatz zu finden, also weiter. Die ewigen Steigungen fangen an zu nerven und werden mühsam. Der Sonnenstrahl an der Furt war wohl ein Abschiedsgeschenk, denn der Himmel wird dunkler als zuvor. Der Tungnafell steckt schon in den Wolken und Regenstreifen ziehen herunter. Da steht wohl ein Tief mit seinem Zentrum südlich von Island. Ich möchte jetzt möglichst schnell einen Platz für mein Zelt finden. Nach meinem Spickzettel kommt noch ein Bach auf den ich nun meine Hoffnung setze. Nach Nżidalur sind es zwar dann nur noch wenig mehr als 10 Kilometer, aber 39 Kilometer an einem Tag? Nein danke. Tatsächlich finde ich am nächsten, sogar ziemlich bedeutenden Bach, etwa 200 Meter oberhalb der Piste ein moosiges Fleckchen. Es ist zwar etwas uneben aber weich und liegt im Schutz einer etwa zwei bis drei Meter hohen Terrassenstufe. Die Wasserversorgung ist auch gesichert, denn etwas weiter oberhalb ist das Bachbett noch mit Altschnee verfüllt. Mit dem ersten Regenguß baue ich schnell das Zelt auf und finde, daß es doch ziemlich schräg am Hang steht. Aber einen besseren Platz gab es auf den ganzen letzten 10 Kilometern nicht. Schnell noch Wasser holen und dann einen Becher Kaffee (!) gekocht. Die Gaskartusche ist aufgebraucht! Sie hat acht Tage gehalten, aber ohne Wasser kann man auch nicht kochen. Die neue Kartusche bringt dann auch volle Leistung und ich koche mir meinen Rest Spaghetti und haue noch einen halben Jägertopf mit Nudeln als Geschmacksträger mit hinein. Zum Nachtisch Schokolade - fast fürstlich. Anmerkung: nach dem 1:100.000er Blatt Vonarskarš liegt der Zeltplatz am Bach unterhalb des vorberges Öxl (dt. Achsel, Schulter)

Noch einen Blick durch den Zelteingang auf den Hofsjökull, der jetzt die Szenerie bestimmt. Er löst damit den Vatnajökull ab, so wie dieser vorher den Heršubreiš ablöste. So sind es immer Berge oder Gletscher, die über Tage hinweg das Bild der Landschaft bestimmen. Langsam wechselt man in den Bereich des nächsten Berges. Irgendwann hat man einen Raum verlassen und die Grenze zu einem anderen Landschaftsteil überschritten. Zu Fuß bewegt man sich eben in der natürlichen, dem Menschen eigenen Geschwindigkeit, auf die unsere ganze Wahrnehmung eingestellt ist.

Um 20 Uhr wieder stärkerer Regenschauer. Liege im Schlafsack und mache diese Aufzeichnungen. Versuche bald zu schlafen.