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In der Nacht leichter Regen. Am Morgen bedeckt aber gute Sicht. Also los! Um 8:10 Uhr stehe ich fertig vorbereitet an der Furt.
Mein "Behelfspegel" zeigt, daß der Wasserstand über Nacht nur um etwa 3 cm gefallen ist. Das ist nicht gerade viel. Sechs
einzelne Flußarme sind nun zu furten. Den Gedanken an eine Sturz und an ein Abtreiben verdränge ich angesicht des
700 m weiter lauernden Wasserfalls schnell wieder. Irgendwie steckt mir die Hverfisfljót noch in den Knochen. Meine Füße sind
immer noch temperaturunempfindlich. Der gewählte Weg durch die Furt erweist sich als passabel. Ich finde eine gute Linie. Im
tiefsten Flußarm recht mir das Wasser gut halb den Oberschenkel hoch und der Strömungsdruck bleibt im grünen Bereich. Dieses
Problem wäre also auch gelöst.
Im 19. Jahrhundert war der Eisdamm des Skeiðarárjökulls so mächtig und stabil, daß der See einen permanenten Abluß über die
650 m. ü. NN gelegene Einmuldung in dem Bergkamm zwischen Núpsártangi und Eggjar hatte. Sein Wasser floß somit in die Núpsá.
Seit 1943 hat der Seespiegel dieses Niveau nicht mehr erreicht.
Mit dem steten Rückgang der Eisdicke im 20ten Jahrhundert konnte der Wasserdruck des Sees den Gletscher anheben und damit
den Eisdamm durchbrechen. Häufige, katastrophale Flutereignisse, bei denen Eisberge bis in den Skeiðarársandur geschwemmt
wurden, waren die Folge. 1935 entleerte sich der See bei einer Flut sogar vollkommen. Größeres oder kleinere sog. Gletscherläufe
(isl.: jökulhlaup) ereignen sich seither fast jährlich. Diese Gletscherläufe stehen jedoch meist nicht im Zusammenhang mit
vulkanischen Ereignissen. Angaben zur Fläche des Sees und der Höhe seines Wasserspiegels (auch in Karten!) geben nur
einen Zustand zur Zeit der Vermessung oder Befliegung (Luftbilder zur Kartenerstellung) wieder. Korrekterweise müßten Karten,
welche die Umrisse des Sees zeigen und die Höhe des Wasserspiegels angeben, auch eine Jahreszahl angeben, um zu verdeutlichen,
daß diese Angaben zeitlich veränderlich sind.
Weitere Informationen siehe: The
marginal lake Grænalón
Ich ziehe meine kurzen Wathosen an und kremple sie ganz nach oben. Insgesamt zähle ich 10 bedeutendere Rinnen. Von knie- bis
oberschenkeltief und mit starker Strömung. Die letzte Rinne untergräbt gerade eine etwa 5 m hohe Wand aus Sand und Kies, welche
permanent nachstürzt und das Wasser in eine schwarzbraune Emulsion verwandelt. An einer von der letzten Kiesinsel her
ausgeguckten niedrigen Stelle der Böschung schaffe ich nur mit Mühe den Ausstieg. Zeit für einen heißen Tee und zwei Müsliriegel
während ich darauf warte, daß meine Beine trocknen und ich den schwarzen Sand von ihnen abwischen kann. Ging doch besser als
gedacht!
Furt Bergvatnsá
Steige langsam zu dem Rücken hoch, der das Beinadalur von dem Tal der Mið Bergvatnsá ("Mittlere Bergvatnsá") trennt. Oben
angekommen schluckt mich der erneut vom Skeiðarárjökull hereinziehende Nebel. Ich markiere meine Position auf dem GPS (WP: ECK)
und währenddessen reißt der Nebel wieder auf. Schnell den Rucksack deponiert und ein Stück zurück, so daß ich ein
Übersichtsbild des Beinadalur und der Furt der Bergvatnsá machen kann.
Mið Bergvatnsá
Dann schräg hinunter in das Tal der Mið Bergvatnsá, welches von einem ziemlich wilden Lavafeld und dem Bach ausgefüllt wird.
Beim Abstieg sind zwei steil eingeschnittene Rinnen zu queren. Im Talgrund dann über den Rand der Lava hinauf zum Bach.
Dieser führt nur einen geringen Anteil an Gletscherwasser und ist somit fast klar. Durch die Lava hat er schöne, kleine
Wasserfälle und woanders als in Island würde er wohl als kleines Naturwunder gelten. Die Furt ist tief aber macht Spaß -
einfach ein herrlicher kleiner Wildbach! Auf der anderen Talseite über weite moosige Flächen in denen das Wasser unter den
Schuhen quietscht. Es folgt ein etwas mühsamer, steiler Aufstieg den Talhang hinauf in die Einsattelung (WP: VIEW) nördlich
des Núpsártangi.
Grænalón
Der flache Sattel führt mich zu eine Hangkante und plötzlich wird der Blick auf den Grænalón frei. Von hier oben hat man
einen guten Überblick über den See, die Eisberge, die Abbruchkante des Skeiðarárjökull, von welchem sie kalben, und den großen
Sander und den Delta des Gletscherflusses, der in den See mündet. Schon beim zweiten Blick wird offensichtlich, daß der See
deutlich kleiner sein muß, als in der Karte eingezeichnet. Der Zufluß durchschneidet alte Seeterrassen mit hohen, steilen
Sandböschungen, deren Höhe ich auf bis zu 20 m schätze. Alle Erosionsspuren sind frisch und aktiv. Daß der Seespiegel, vor
nicht allzulanger Zeit deutlich höher gelegen haben muß, belegen einige Eisberge, welche gut hundert Meter landeinwärts vom
aktuelen Ufer im Sand stecken und noch nicht abgeschmolzen sind. Gletscherrandseen wie der Grænalón sind höchst dynamische
Erscheinungen. Die Höhe das Wasserspiegels und damit die Ausdehnung des See werden von dem Zustand des Eisdammes an seinem
Abfluß bestimmt. Eis an sich ist kein verläßlich stabiles Material und noch dazu ist es ständig in Bewegung.
Grænalón
Es ist eigenartig - nicht daß der Grænalón das "große Ziel" dieser Tour gewesen wäre, nicht daß ich enttäuscht wäre, ihn jetzt
erreicht zu haben und ihn jetzt vor mir zu sehen. Da ist etwas anderes. Vielleicht liegt es auch am grauen Licht, denn die
Szenerie wirkt auf mich eher bedrückend und der Sander mit dem Fluß sehr respekteinflößend. Manchmal, wirkt eine weite
Aussicht eher entmutigend. Diese trügerische Sandfläche, der graue Hang dort drüben, an dem sich irgendwo eine Zeltstelle
befinden soll, und dann der riesige Gletscher und hinter ihm die abweisende Kette der Skaftafellsfjöll. Sieht steil aus -
und viel Schnee dort oben. Ich sehe im Moment nur die Hindernisse und die wirken bedrohlich. Da ich alleine unterwegs bin, muß
ich mich selbst zu einer positiven Einstellung ermahnen. Einfach zu sagen "geht schon, wird schon klappen" darf ich mir nicht
erlauben. Ich brauche immer einen Grund warum ich glaube, daß es gehen wird. Alles andere wäre fahrlässig. Es gibt auch immer
noch die Option von hier nach Süden, nach Núpsstaður an der Ringstraße, zu gehen, wenn ich das Gefühl habe die geplante
Route wird mir zu heiß. Also erst mal eine
Mittagspause einlegen, mir dabei den Sander genauer betrachten und von oben einen möglichen Weg suchen. Ein Problem nach
dem anderen lösen. Genug Erfahrung sollte ich eigentlich haben.
der Seezufluß
Eine Hangrippe bietet sich als nicht zu steiler Abstieg hinunter zum Sander an. Terrassenstufe um Terrassenstufe komme ich
tiefer bis auf den alten Seeboden herunter. Ein schwarzer Eisberg von der Form einer Haifischflosse steckt dort drüben
hochkant im Sand.
Ich versuche mich so weit wie möglich vom See fern zu halten und achte genau auf die Festigkeit des Untergrundes. Ein erster
Bach, der sich breit und tief in eine Seeterrasse eingeschnitten hat, ist zu furten. Er führt überraschend klares Wasser und
besteht aus nur drei Rinnen. Auch der Bachgrund trägt mich verläßlich. Das kann doch wohl noch nicht der große Zufluß zum See
gewesen sein, oder? Die sandige Böschung hinauf zu kommen ist nicht einfach. Ich marschiere über
einen breiten Sandrücken. Nein, das war wirklich noch nicht alles - denn jetzt kommt der eigentliche Hammer. Das Flußbett,
welches da vor mir liegt, ist so breit, daß ich von der Böschung aus weder die Rinnen zählen, noch einen Weg durch sie hindurch
ausmachen kann. Na viel Spaß! Vor allem erst einmal irgendwie kontrolliert die lockere und senkrechte Böschung hinunter
kommen.
Toteislöcher
Sattle wieder auf und stoße schon nach wenigen Metern auf Fußspuren. Hallo, da waren doch welche vor kurzer Zeit in der selben
Richtung unterwegs - vielleicht vor ein, zwei Tagen? Unter Isländern ist die Route über den Skeiðarárjökull schon etwas
bekannter. Ich zähle Spuren von 6 Wanderern. Ich nehme die Fährte auf und folge ihnen. Auf einer Terasse schöne, frische
Toteislöcher! Logisch, daß es die hier geben muß. Im See verdriften Eisbrocken unterschiedlichster Größe, werden in den Sand
eingelagert und schmelzen Jahre, Jahrzehnte, oder noch viel später ab. Ich hätte allerdings erwartet, daß der Sand sofort
nachsackt, aber das sieht eher so aus als hätten sich da Hohlräume gebildet, die jederzeit einstürzen können. Der Gedanke hat
durchaus etwas Unbehagliches.
Zeltplatz
Dann schräg aufsteigend den Südhang des Grænafjall hinauf. Ich weiß, daß auf einer dieser Terassenleisten im Hang der
Zeltplatz liegen muß. Die Isländer nutzen ihn als letzten, vorgeschobenen Übernachtungsplatz vor der Querung des Skeiðarárjökull.
Im groben Geröll habe ich bald die Spuren verloren, finde sie aber später, bei der Querung zweier tief eingeschnittener
Bäche, wieder. Die Tobelbäche sind ausgesprochen schön und wild. In ihnen gedeiht eine überraschend vielfältige Pflanzenwelt.
Da hilft die günstige Südexposition des Hanges sicher mit. Schließlich entdecke ich ein kleines Plateau mit vier
auffallenden Steinringen. Na also, da ist ja der Zeltplatz! Zwischen den Steinen liegt feiner Kies. An der Seite eine
mit trockenem Moos bewachsene Stufe und eine kleine Felswand bietet Windschutz nach Osten.
Während ich das Zelt aufbaue kommt die Sonne heraus. Jetzt paßt wieder alles! Die Landschaft wirkt wieder freundlicher und meine Zweifel sind der Zuversicht gewichen. Alle Müdigkeit ist wie weggeblasen. Hinter dem Felsvorsprung ist, keine 50 m weiter, ein hübscher, kleiner Bach mit klarem Wasser und lädt zu einer Grundreinigung des müden Körpers ein. Es ist warm und kein Lüftchen weht. Perfekt! Mache danach noch eine Photorunde mit Panoramen, Details und Blumenmotiven. Meine Digi läuft immer noch mit dem ersten Akkusatz - Respekt. Der Schlafsack hat nun auch in der Sonne auslüften dürfen. Zum Abendessen Boeuf Stroganoff. Von Westen her schieben sich hohe Wolken vor die Sonne und so wird es nichts mit Abendlicht auf der Kalbungswand des Gletschers. Macht nichts, ich hatte die zwei besten Stunden des Tages genau zum richtigen Zeitpunkt. Im Schlafsack liegend an den Aufzeichnungen. Werde früh schlafen und morgen zeitig nach dem Wetter sehen. Immer wieder donnert und grollt das Eis vom Gletscher herauf.