5. Tag, Hlöšufell - Hagavatn

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Dieter Graser © 2010

Montag, 20. August 2007


Ruhige Nacht. Der Wecker piepst wie immer um 6:00 Uhr. Blick nach draußen: kein Wind, keine Wolken. Am Donnerstag war die Wettervorhersage für Montag noch ausgesprochen mies. Gut - ich will mich nicht beklagen. Blaubeermüsli zum Frühstück. Den Rucksack gepackt, die Hütte ausgekehrt und das Übernachtungsgeld in die Hüttenkasse geworfen. Aufbruch um 7:30 Uhr.

Rani
Ursprünglich hatte ich geplant den flachen Schildvulkan des Lambahraun südöstlich zu umgehen. Habe mich nun aber entschieden ein gutes Stück der westlich des Lambahraun verlaufenden Piste zu folgen und dann zum nördlich des Lavafeldes liegenden Línuvegur zu queren. Ein erster Abkürzer über die Scharte des Rani, einem nach Südoststen ragenden Sporn des Hlöšufell, bietet sich schon nach einem guten Kilometer an. Finde prompt Spuren, die beweisen, daß ich nicht der erste bin, der diese Abkürzung benutzt. Ob er mir viel Zeit gespart hat, kann ich nicht sagen, aber schöner war der Weg vor allen durch seine phantastische Aussicht auf jeden Fall. Gönne mir nach dem kurzen aber knackigen Aufstieg eine erste Pause und genieße den Rundblick.

Žórólfsfell
Dann hinunter zur Piste weiter Richtung Norden. Etwa auf halber Höhe des Hlöšufell verlasse ich die Piste an einem auffallenden, hohen Felsblock (WP: Karl) und peile die Gipfel des Jarlhettur an. Das Lavafeld Lambahraun besteht aus grauen Lavakuppeln welche halb in schwarzem Sand ertrunken sind - Wüste pur. Was mich daran erinnert, daß ich seit Žingvellir kein Wasser mehr auftanken konnte und meine Vorräte nur noch aus einer Thermos mit heißem Tee und einer kleinen Wasserflasche bestehen.

Lambahraun
Es ist fast windstill, die Sonne brennt auf den schwarzen Sand und mir ist wärmer als mir lieb ist. Das Lavafeld ist anstrengend zu Gehen. Der Sand ist oft weich und meine Bergschuhe sinken mit den Fersen tief ein. Immer wieder muß ich Lavarücken umgehen oder leicht überklettern. Scharfkantige Lavabrocken im Sand lassen den Fuß schnell umknicken und verlangen volle Aufmerksamkeit. In gerader Linie zu gehen ist unmöglich. Entschädigt werde ich durch den Blick auf den Langjökull und schließlich auch auf den Hagavatn und die Zinnen der Jarlhettur. Gegen 12:00 Uhr erreiche ich den Ost-West verlaufenden Línuvegur. Höchste Zeit für eine Mittagspause.

Línuvegur
"Línuvegur" bedeutet Leitungsweg - und tatsächlich ist diese Piste ursprünglich nur zum Bau und Unterhalt einer quer durch Island verlaufenden Hochspannungsleitung gebaut worden und führt deshalb möglichst nahe an deren Gittermasten vorbei. Nicht unbedingt ein romatischer Anblick in dieser ansonsten völlig unberührt scheinenden, archaischen Landschaft. Bis zum nächsten Wegpunkt Mišskarš sind es noch etwa 6 km. Auf der Piste geht es sich deutlich leichter, obwohl sich diese immer noch durch das Lambahraun windet. Ein Motorrad mit Ansbacher Nummer kommt mir entgegen und gleich dahinter das Begleitfahrzeug. Sie winken jeweils kurz freundlich, halten aber nicht an. Keine Gelegenheit sie um etwas Wasser anzuschnorren. Die Isländer gestern waren da höflicher oder vielleicht nur neugieriger. Sei's drum - das war dann auch schon die einzige Begegnung an diesem Tag.

Bergstiefel
Die Mišskarš ist eine Lücke in der Verlängerung der Berkkette der Jarlhettur. Beim ziemlich steilen Abstieg kann ich in der Entfernung die Gischtfahne des Gullfoss erkennen. Die Entfernung beträgt immerhin 16 km. Halblinks die unregelmäßige Wasserfläche des Sandvatn. Auf halber Höhe des Abstieges verlasse ich die Piste um dem Hangfuß der Bergkette bis zum Fagridalur zu folgen. Komme an einer häßlichen, auf Pfählen errichteten Hütte vorbei, und stoße wenig später auf eine Fahrspur und Pferdespuren. Langsam beginne ich den langen Tag zu spüren und bin froh nach dem Fagridalur in das Tal des Far einbiegen zu können.

Der Far ist der Abfluß des Gletschersees Hagavatn. Eine 1999 durch einen Gletscherlauf ausgelöste Flutwelle hat den alten Steg weggerissen und seither war die südliche Route zur Hagavatn-Hütte unterbrochen. Vor zwei Jahren wurde ein neuer Steg gebaut und erspart einem die schwierige Furt des Flusses. Laut 50.000er Karte befand sich der alte Steg einen Kilometer nördlich der Hütte. Auf dem Weg zum Fluß komme ich an dem Gatter eines Schafzaunes vorbei. Irgendjemand hat da zwei abenteuerlich verwitterte Wanderschuhe auf einen Pfosten genagelt. Vielleicht hat sie mal jemand verloren und der Finder hat sie gut sichtbar aufgestellt. Das ist aber auch schon die einzige Spur der Wanderroute. Ich folge dem Flußufer stromauf und suche nach dem Steg. Zumindest finde ich hier endlich Wasser auch wenn es mit etwas Gletschertrübe belastet ist. Schnell fülle ich meine beiden Wasserflaschen auf und weiter geht's.

Furt
Auf der gegenüberliegenden Flußseite entdecke ich nun auch die Hütte. Mich trennen nur etwa 200 m von meinem Tagesziel - und eben dieser Fluß. Aber wo ist der Steg? Gut- der Karte nach ist er noch Stück höher oberhalb einer Schlucht. Über grobes Blockwerk, wohl eine Hinterlassenschaft des Gletscherlaufes von 1999, klettere ich mühsam eine steile Halde hinauf und stehe am Rand der Schlucht. Nein, auch hier keine Spur von dem Steg: Sackgasse. Der Steg scheint wohl außerhalb des Tales zu liegen. Aber warum habe ich ihn auf meinen Weg nicht gesehen? Frustriert klettere ich wieder hinunter und versuche mich mit dem Gedanken anzufreunden, daß heute den Far noch furten darf. Eine gute Bewährungsprobe für die neuerstandenen Neoprensocken. Ziemlich genau auf Höhe der Hütte versuche ich es an einer Stelle an der die Oberfläche des Wassers sich was beruhigt und damit eine niedrigere Strömungsgeschwindigkeit anzeigt. Der Fluß ist hier etwas breiter, aber das trübe Gletscherwasser erweist sich als zu tief. Schon nach wenigen Metern muß ich umkehren. Also versuche ich es etwa 100 m weiter unten bei bedeutend stärkerer Strömung. Es geht gleich auf über einen Meter Wassertiefe und die Strömung zerrt gewaltig. Dank den Neoprensocken und Tevas habe ich ein gutes Gespür für den Untergrund und finde sichere Tritte. Die voll ausgefahrenen Trekkingstöcke vibrieren in der Strömung und ich sondiere eine erneute Stufe. An der tiefsten Stelle sind es knapp 130 cm und selbst der Saum meiner Jacke wird naß. Schneller als gedacht habe ich die Stelle überwunden und klettere 50 m von der Hütte entfernt an das Ufer. Obwohl mir die Strömung das Gletscherwasser von oben in die Neoprensocken gedrückt hat sind die Füße noch warm.

Hütte
Es ist 17:15 Uhr - ich war heute also über 10 Stunden unterwegs. Auf einem Heidepolster vor der Hütte sitzend ziehe ich mir erst mal wieder trockene Sachen an. Dann begutachte ich die Hütte. In einem kleinen, oasenartig grünen Tälchen gelegen ist sie geradezu idyllisch. Sogar 3 Birken wachsen an ihrer Südostwand. Sicher die einzigen Bäume in weitem Umkreis. Innen ist sie klein und gemütlich und gefällt mir weit besser als die Hlöšufell Hütte. Vor Kurzem muß jemand eingeheizt haben, denn in der Hütte ist es noch schön warm. Auch eine Reihe von 2,5 l Wasserflaschen mit Trinkwasser steht bereit. Was will man mehr?

Ich richte mich in der Hütte ein und da es für einen Nachmittagsschlummer viel zu spät ist, will ich mir gleich etwas zu Essen kochen. Böse Überraschung: die Tüte mit den "Schwäbischen Käsenudeln" ist aufgeplatz und hat einen erheblichen Teil des Soßenpulvers im Packsack verteilt. Notgedrungen gibt es also heute Abend "Käsenudeln". Später stelle ich fest, daß auch die Zahnpastentube geplatzt ist und sich der der Inhalt meines kleinen Waschbeutles verschmiert ist. Sonst noch was?

Anstelle eines Abendspazierganges sammele ich noch ein Haferl Heidelbeeren, die am Hang neben der Hütte wachsen. Nachdem am späten Vormittag Zirren aufgezogen sind hat sich der Himmel am Nachmittag mehr und mehr bedeckt. Am Abend Föhnwolken über dem aus meinem Tal heraus nicht sichtbaren Langjökull. Gegen 22:00 Uhr ziehen tiefe graue Wolken aus Südwesten heran und legen sich über die umgebenden Berge. Schreiben im Licht der Kerzenlatern. Mal sehen was morgen ist. Hier könnte man auch gut einen Tag abwettern.


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