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Pünktlich um 0:15 Uhr - zur Geisterstunde - rumpelt nicht etwa das sagenhafte Gespenst von Hvítárnes in die Hütte, sondern
zwei Jäger mit Hund. Ja, ja - es ist Wochenende. Stöpsel mich ab und habe auch meine Ruhe, da die beiden einen anderen Raum
in Beschlag nehmen. Wegen der bevorstehenden kurzen Etappe brauche ich keinen Wecker. Bin daher erst um 7 Uhr wach und
bereite mein Frühstück. Draußen bedecken niedere Wolken den ganzen Himmel. Es herrscht wieder Südwind. Packe zusammen
und werfe noch mein Übernachtungsgeld in die Kasse.
Zum Aufbruch nieselt es, aber was soll's. Hundert Meter oberhalb der Hütte schwenke ich auf den "Alten Kjalvegur" ein. Den
Spuren nach war hier vor kurzem eine Reitergruppe unterwegs. Vorbei an der ersten Warte. Bald stößt der Weg auf einen ersten
Moorbach. Die Pferdespuren queren ihn an der breitesten Stell, aber als Fußgänger weicht man besser ein wenig nach Osten aus
und quert ihn dort, wo aus dem fast stehenden Gewässer eine schmales Rinnsal wird. Das reicht natürlich prompt um den
undeutlichen Weg zu verlieren. Da der Kjalvegur in diesem Abschnitt nicht weiter markiert ist, kann man an dieser Stelle
ins Grübeln kommen. Dabei braucht man aber nur die allgemeine Richtung und dabei vielleicht eher nach links (Westen) zu halten
und auf das Auftauchen der nächsten Warte zu achten. Warten konnten nur gebaut werden wo man auch vor Ort geeignete Steine
fand. Im Sumpf- und Heidegebiet nördlich von Hvítárnes fehlte einfach das Baumaterial. Dadurch erklärt sich so manche Lücke
in der Wartenreihe welche die alten Reitwege markieren. Nach der 4. Warte trifft der Wanderweg von Hvítárnes auf den Reitweg
der von Reiterhütte Árbúð her kommt. Am Boden liegt ein hölzernes Hinweisschild nach Hvítárnes das sicher mal an einem Pflock
befestigt war - der ist allerdings verschwunden.
Lóa
Wanderer
Gljúfur!
Þverbrekknamúli
Heidelbeerernte
500 m weiter wird ein kleiner Bach gequert, der durch 2 große Warten bestens markiert ist, zumal nach hundert Meter eine
dritte Warte den weiteren den Kurs angibt. Der Weg ist durch Pferdehufe tief ausgetreten und nicht mehr zu verlieren. Das
Wetter hat sich gebessert. Der bleigraue Himmel bekommt Struktur und und helle Löcher. Endlich finde ich wieder Beeren am
Wegesrand! Hatte diese Vitaminlieferanten in Hvítárnes wirklich vermißt. Der Goldregenpfeifer (isl.: Lóa), sonst mit seinem
Eintonflöten die akustische Dominante auf
meinen Hochlandtouren macht sich wohl aufgrund des weit fortgeschrittenen Sommers, der schon deutlich herbstliche Züge trägt,
rar. Um so erfreulicher, daß sich doch ein
Exemplar hören läßt und auch neugierig und ungewöhnlich zutraulich näherkommt.
Der Weg führt nun nahe dem rauschenden Gletscherwasser des Fúlakvísl entlang. Deutlich ist erkennbar, wie der Fluß von dem
relativ jungen Lavafeld des Kjalhraun an den Hangfuß des flachen Kegels der Baldheiði gedrängt wurde. Habe auf dem Weg die
Position von wohl allen deutlich erkennbaren Warten mit dem GPS aufgenommen und versuche so den Weg zu dokumentieren.
Um 11:30 Uhr mache ich eine kleine Pause mit Tee und Müsliriegel. Das Wetter hat sich inzwischen deutlich gebessert und ich
kann die Softshellhose gegen meine leichtere Berghose wechseln. Auf dem Weiterweg kommt mir ein junges Paar aus Frankreich
entgegen und wir quatschen sicher 20 Minuten lang miteinander - ich bin der erste Wanderer der ihnen seit Hveravellir begegnet
ist.
Auf dem Weiterweg kann ich schon mal kurz von Weitem das rote Dach der Þverbrekknamúli-Hütte sehen, aber dann versteckt es
sich wieder hinter flachen, flechtenüberwachsen Lavarücken. Der Weg hat sich vom Fúlakvísl entfernt. Die Lava hat das Tal
vor dem Hrútfell abgedämmt und der Fúlakvísl bildete dort nach Erkalten der Lava einen Stausee, der inzwischen längst
verlandet ist. Übrig blieb eine Schwemmebene des Fúlakvísl welche von Zeit zu Zeit von einem Hochwasser überflutet wird.
Schließlich ziehen zwei auffallende Warten die Aufmerksamkeit auf sich. Die kleiner, südliche Warte trägt ein etwas verblasstes
Achtungsschild "Gljúfur!" (heißt: "Schlucht!").
Die 2005 wieder erneuerte Brücke befindet sich etwa 50 m westlich der Warten und sollte eigentlich nicht zu verfehlen sein.
Der weitere Weg von der Brücke zur Hütte Þverbrekknamúli ist mit Markierungstangen dann schon fast überdeutlich
gekennzeichnet. Ich komme gemütlich um 14:00 Uhr an der Hütte an. Die Sonne scheint und nur der frische Südwind hindert mich
auf der Hüttenveranda Brotzeit zu machen. Das Innere der Hütte ist geräumig und gut ausgerüstet. Das große Fenster
nach Süden macht den Raum hell und freundlich und die Sonne heizt den Raum auf behagliche 20°C auf. In Hvítárnes dagegen hatte
ich fast permanent kalte Füße. Seit meinem letzten Besuch 2000 ist ein Wasch- und Toilettenhaus dazugekommen. Als Folge des
trockenen Sommers funktioniert allerdings die Wasserversorgung dort nicht mehr. Dennoch verichtet die Wasserpumpe in der
Hüttenküche trotz gegenteiligem, dreisprachigen Hinweis klaglos ihren Dienst.
Mache eine Spaziergang zu einem Hügel Richtung Hrútfell. Dort hat sich die Heide auffällig rot verfärbt. Mein Verdacht wird
bestätigt und ich stoße auf ergiebige Heidelbeergründe. Der Wind hat nachgelassen und so sitze ich nachher mit meiner reichen
Beute vor der Hütte und genieße die Abendsonne.