Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Vorwort.


Fern im Norden erhebt sich aus den Wogen des Atlantic, der in ungebrochener Gewalt ihre schroffen Küsten umschäumt, die Insel Island, — Isafold, die Eisumschlungene. —

Zwei Elemente kämpfen hier seit Jahrtausenden um die Oberherrschaft, — Feuer und Eis. In mannigfaltigster Weise verlieh die umbildende und verheerende Kraft des Vulkanismus den 104000 Quadratkilometern des Landes ihr eigenartig wechselvolles Gepräge.

Die Gewalt der ewig stillen, ewig fließenden. Gletscher, deren Werden und Wachsen die hohe geographische Lage der Insel so begünstigt, arbeitete in gleich menschenfeindlicher Weise. Die Gletscher fügten zu den von Lava übergossenen meilenweiten Gebieten der Vulkane ähnlich große Flächen glazialer Gerolle; sie verheerten durch Gletscherflüsse und Schlammströme weite Strecken, erstickten Pflanzenwuchs und Tierleben.

Dem unwirtlichen Innern, — zirka 70000 Quadratkilometer — fehlen alle Bedingungen der Besiedelungsmöglichkeit, nur die Küsten sind von achtzigtausend Isländern bewohnt, die in dem durch Einfluß des Golfstroms gemilderten Klima ein genügsames Leben führen.

Im Zentrum der Insel erhebt sich, mitten aus der Lavawüste Odáđahraun (Lavawüste der Untaten), dieselbe um 1200 m überragend, das Gebirge der Dyngjufjöll. Erreichbar ist es nur nach anstrengenden Tagesritten, die letzten zwölf Stunden über völlig unwegsame, schwer passierbare Gebiete, jedes animalischen Lebens, jeder Vegetation bar.

In diesem Gebirge verunglückte am 10. Juli 1907, als Opfer seiner Wissenschaft mein Verlobter, der Privatdozent der Geologie, Dr. phil. Walther von Knebel, mit seinem Gefährten, dem hoffnungsvollen Maler Max Rudloff.

Nach einer aus eigenen Mitteln im Jahre 1905 nach Island unternommenen, in jeder Beziehung als geglückt zu bezeichnenden Forschungsreise gewann er reiche Unterstützung aus dem Humboldt-Fond für Naturforschung und Reisen der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin für seine im Jahre 1907 begonnene Expedition in den Vulkankessel der Askja im obenerwähnten Gebirge Dyngjufjöll. Mit einer ausgezeichneten Ausrüstung wurde Ende Mai 1907 von Berlin aus, über Kopenhagen die Reise angetreten.

Da in Island starke Schneeüberdeckung, um Mitte Juni noch, den Landweg mit vielen Packpferden als gewagtes Unternehmen erscheinen ließ, fuhren Dr. von Knebel und Herr Rudioff zu Schiff mit allem Gepäck, Proviant etc. zur Hauptstadt des Nordlandes Akureyri, dem Ausgangspunkt der Expedition in die Askja.

Unterdessen bracht eder erfahrene Führer Ögmundur Sigurdssón die ledigen, in Reykjavík großenteils käuflich erworbenen, zur Expedition nötigen Pferde auf der Poststraße von Reykjavík nach Akureyri. Schon im Jahre 1905 war Ögmundur, der in der Hafenstadt Hafnarfjorđur bei Reykjavík die angesehene Stellung eines Seminar-Lehrers bekleidet, der treue Führer und Freund von Walther von Knebel gewesen.

In Akureyri fand sich dann noch Herr cand. geol. H. Spethmann, der mit einem anderen Schiff Kopenhagen verlassen, als dritter Teilnehmer der Expedition ein.

Nach den nötigen Vorbereitungen (Die Mehrzahl der die Expedition 1907 betreffenden Daten sind den mündlichen und schriftlichen Mitteilungen Herrn Dr. Spethmanns entnommen) wurde in den letzten Junitagen Akureyri verlassen und nach mehreren, sehr anstrengenden Rittagen der Kessel der Askja in den Dyngjufjöll am l. Juli nachts erreicht. —

Der Führer mußte mit den Pferden, die mitgenommenes Heu gefressen, nach sehr kurzem Aufenthalt wieder das Gebiet verlassen. Nicht ein Halm Gras bietet in dem auf tausende von Quadratkilometern mit Lava bedeckten Boden den Pferden Nahrung. Der Führer war es auch, welcher die letzten schriftlichen Nachrichten von ihnen mitnahm; vierzehn Tage später sollte er ihnen aus Deutschland eingegangene Post überbringen.

Somit blieben Dr. von Knebel, Herr Spethmann und Herr Rudioff allein.

Ein großes Manöverzelt diente zu ihrer Unterkunft, Schlafsäcke zum Schutz gegen die Nachtkälte, ein reicher Proviant verhütete jeglichen Mangel. Die mannigfaltige Ausrüstung mit wissenschaftlichen Instrumenten ließ sie mit warmem Eifer ihre hochinteressante Arbeit beginnen.

Vor ihnen waren nur drei Gelehrte verhältnismäßig kurze Zeit in diesem Gebiet gewesen.

Björn Gunnlaugssön, der bekannte Kartograph Islands, verirrte sich 1844 in der Lavawüste Ódáđahraun und geriet dabei in die Dyngjufjöll.

Der dänische Geologe J. F. Johnstrup hielt sich 1876 fünf Tage hier auf.

Kaum so lange war der seit 25 Jahren an Islands Erforschung tätige Professor Thorvaldur Thoroddsen im Jahre 1884 in der Askja.

Je einen Tag nur die Engländer, Lock in den Sommern 1878 und 1880, Peek und Morgan 1881.

Der dänische Altertumsforscher Cpt. Daniel Bruun mußte im Jahre 1897, der Deutsche Heinrich Erkes aus Köln im Juni 1907, ohne die Askja erreicht zu haben, infolge von Schneesturm und Nebel, am Fuße des Jónskarđ umkehren.

Die Knebel'sche Expedition beabsichtigte dagegen während mindestens vier Wochen nach allen Richtungen das für den Geologen hochinteressante, nahezu unerforschte Gebiet, zu untersuchen.

Der Führer Ögmundur Sigurdssón war schon im Jahre 1884 mit Professor Thoroddsen in der Askja gewesen. Damals befand sich eine kleine Ansammlung heißen Wassers im südöstlichen Teil des Askja-Kessels — wie groß war Sigurdssóns Erstaunen jetzt einen großen See dort zu sehen, dessen grünliche Fluten zum Teil noch von einer Eisdecke überspannt waren.

Die Erforschung dieses Sees war von vornherein in den Arbeitsplan gezogen und zu diesem Zweck aus Deutschland ein Leinenfaltboot mitgebracht worden.

Mannigfache Einwendungen sind vor und nach der Katastrophe des 10. Juli gegen die Güte des Bootes, selbst von Leuten, die dasselbe nie zu Gesicht bekommen, in etwas unüberlegter Weise erhoben worden.

Als Tatsache ist dem entgegenzustellen, daß es ein aus zwei Teilen zusammengesetztes Faltboot war, vom Typus jener Boote, die seit Jahren bei der englischen Marine, bei unserer Schutztruppe in Afrika und bei mancher kühnen Forscherfahrt, auf völlig unbekannten Gewässern, mit Erfolg benutzt werden.

Aber auch die vollkommsten Erzeugnisse menschlicher Technik waren bisher nicht ohne Ausnahme im Stande der schrankenlosen Gewalt der Elemente zu trotzen. Es dürfte an der Zeit sein die Diskussion über die Güte des Bootes abzuschließen, indem der Schwerpunkt des Unglücks in die gewaltig und unumschränkt wirkenden Naturkräfte Islands verlegt wird. Dieses Boot nun wurde, in den ersten Tagen des Aufenthaltes der Expeditionsmitglieder in der Askja, mit sehr großer Mühe zu der einzig dem Wasserspiegel zugänglichen Stelle des Sees gebracht und zusammengesetzt, um dann benutzt zu werden zu der ersten Fahrt, die auf den Fluten des geheimnisvollen Kratersees unternommen werden sollte.

Herr Spethmann hatte sich zu wissenschaftlicher Arbeit am 10. Juli in den nördlichen Teil des Gebirges begeben, von wo er nach zehn Stunden zurückkehrend seine Gefährten nicht am Zelt fand. Er hatte sie nicht abfahren sehen, er wußte nur, daß für diesen Tag die Fahrt auf dem See geplant war, — die Fahrt, von welcher sie nie wieder zu uns zurückkehren sollten. Von den beiden Verunglückten selbst, oder dem Faltboot wurde keine Spur gefunden. —

Im August desselben Jahres wurde eine Such-Expedition von Isländern unternommen. Dieselben brachten unter ungeheuren Schwierigkeiten ein Holzboot, zum Befahren des Sees, von der Küste durch das furchtbare Lava-Gebiet. Das Absuchen des Sees führte aber zu keinem weiteren Resultat als der Auffindung eines hölzernen Instrumenten-Deckels nahe dem Ufer des Sees.

Für uns, die wir Island nicht kannten, schien ein so spurloses Verschwinden unfaßbar. Wir wußten nichts von den unbetretbaren Ufern des fraglichen Sees, von der unergründlichen Tiefe desselben, von dem drohenden Steinschlag, der Tag und Nacht an den Wänden zum See niedergeht. Es fehlte uns jegliche praktische Kenntnis der meilenweit kaum passierbaren zentralen Teile der Insel. Wir hofften dagegen zuversichtlich, daß eine erneute Expedition, die sich auf längere Zeit zum Suchen nach den Ver- unglückten in die Askja begäbe, Aufklärung schaffen könne.

Die Königlich Preußische Akademie der Wissen- schaften unterstützte auf mein Gesuch in reichem Maße meine geplante Such-Expedition und ein Freund meines Verlobten, Dr. phil. Hans Reck, übernahm die Führung derselben. —

In den Wintermonaten 1907—08 arbeiteten wir zusammen den Reiseplan aus, und traten am 12. Juni 1908 von Berlin aus unsere Reise nach Island an.

Es war uns bekannt, daß Island, dessen geringe Bevölkerung nur die Küsten bewohnt, ein Land — nicht nur ohne Eisenbahnen sondern sogar ohne Wege ist. Wir waren daher auf die Leitung eines erfahrenen Isländers angewiesen, denin der anstrengenden Führung der Karawane von Pferden durch die weglosen Wüsten, von einem zweiten Führer unterstüzt werden mußte. Auch wußten wir, daß es in Island fast nie Brücken über die gefährlichen Gletscherflüsse gibt und wir oft Lokalführer zur Durchfurtung brauchen würden. Wir wußten ferner, daß wir Gebiete durchreisen würden, in denen es auf viele Tage weite Entfernung keine menschlichen Ansiedlungen gab, — wir also für unsere Unterkunft in Zelten, für unseren Unterhalt durch mitgenommene Konserven jeglicher Art zu sorgen hatten.

Ebenso war uns bekannt, daß die zierlichen, sehr ausdauernden isländischen Ponies das einzige Transportmittel auf der ganzen Insel bilden, und zwar nicht nur für den Menschen selbst, sondern auch für dessen ganzes Gepäck, Zelte, Proviant, wissenschaftliche Instrumente etc. Jedes der Packpferde, das im Stande ist Tag für Tag, — während der Sommerwochen — zehn bis zwölf Stunden seine Kisten zu tragen, kann daher nicht mit mehr als l'/2 Zentner belastet werden. Jeder Reisende braucht für sich zwei Reitpferde. Es ergab sich hieraus für einen längeren Ritt durch die Insel mit dementsprechendem Proviant eine beträchtliche Anzahl von Pferden, wir haben die meiste Zeit zwanzig gehabt.

Die isländischen Pferdchen fressen vorzugsweise frisches Gras. Die Mitnahme von Futter für dieselben Fällt somit weg, — nur in einzelnen Fällen müssen Säcke mit Heu zur Fütterung in der Wüste mitgenommen werden. Andererseits muß die Reise so eingerichtet sein, daß an jedem Abend ein Grasfleck erreicht wird. Da aber in dem unbesiedelten, fast unbekannten Inneren Islands Grasoasen vielfach nur in. der Überlieferung bestehen, zwingt der Mangel an Gras bisweilen die ganze Karawane zur Umkehr, zum Aufgeben des ursprünglichen Reiseplanes.

Von diesen Einzelheiten der Reisemanier in Island wußten wir im Voraus nur wenig. Ebenso machten wir uns ein unklares Bild von der schwachen Vegetation der Insel, die durch das absolute Fehlen von Bäumen ein sehr fremdartiges Gepräge erhält. Die Notwendigkeit von zehn- bis fünfzehnstündigen Tagesritten hatten wir in Deutschland auch nicht voraussehen können.

Nachdem ich dann in Island auf einer Probe- Expedition durch die Halbinsel Reykjanes bewiesen hatte, daß ich längeren Ritten gewachsen sei, traten wir die Reise durch die Insel an.

Wir beabsichtigten von Reykjavík aus, durch das Südland reitend, Akureyri die Hauptstadt des Nordlandes zu erreichen. Akureyri ist der bei weitem geeignetste Ausgangspunkt für eine Expedition zum Askja- Kessel in den Dyngjufjöll. Wir durften nicht zu früh in diesem Gebirge eintreffen, da alle unsere Versuche zur Auffindung von Spuren scheitern mußten, so lange dort noch alles von Schnee bedeckt war. Besonders waren wir von den Herren: Etatsrat Havsteen in Akureyri, Konsul Thomsen in Reykjavík, Ögmundur Sigurdssón und Kpt. Daniel Bruun auf diesen wichtigen Punkt aufmerksam gemacht worden. Es lassen sich in Island nie vorher bestimmte Behauptungen darüber aufstellen, von welchem Umfang und von wie langer Dauer die Schneebedeckung in den fast nie betretenen zentralen Teilen der Insel ist, darum mußten wir einen Zeitpunkt wählen, in dem menschlicher Voraussicht nach, aller Schnee getaut war. Die hellen Sommernächte, deren große Vorzüge wir in den ersten-Wochen unseres Rittes genossen, machten allerdings Mitte August der ungefähr um 9 Uhr eintretenden Dunkelheit wieder Platz. Am Standquartier am Knebel-See, wo wir be- stimmte Pläne, unabhängig von den Pferden, machen konnten, war dies aber weniger empfindlich.

Ebensowenig als bezüglich der Schneebedeckung lassen sich Schlüsse ziehen, wie man bei einem längeren Ritt ins Innere das Wetter, die Bodenverhältnisse in den weglosen Wüsten, die Gletscherflüsse und den Stand des Grases für die Pferde finden wird. — Wir waren hier völlig vom Zufall abhängig, müssen aber voll Dank anerkennen, daß fast ausnahmslos in all' diesen Punkten die Verhältnisse uns außerordentlich günstig waren.

Nachdem wir für den Ritt durchs Südland genügend Proviant zurückbehalten, sandten wir, zwei Tage nach unserer Ankunft in Reykjavík, die übrigen Vorräte mit der „Ceres" nach Akureyri, der Hauptstadt des Nordlandes.

Bei unserem Hauptritt fügten sich dem direkten Wege über die Hekla und den Sprengisandur nach Akureyri einige Abstecher im Interesse Herrn Recks an. Die beiden nach Laki und dem Tungnafellsjökull verliefen programmäßig, jener zu dem völlig unerforschten Gebiet der Fiskivötn (Fischseen) scheiterte bedauerlicherweise. Von Akureyri ritten wir auf bis- her noch nie benutztem Wege in die Askja.

Je mehr wir von Island sahen, umso deutlicher mußten wir aber erkennen, daß es eine Unmöglichkeit sei, in diesen grenzenlosen Gebieten aufs Geratewohl Ungewissen Spuren nachzugehen. Wir kehrten mit einem negativen Resultat — bezüglich der Auffindung von Spuren — aus der Askja nach Akureyri zurück.

Von hier ritten wir, anstatt die Heimreise schon von Akureyri aus zu Schiff anzutreten, auf der Poststraße noch einmal durch die ganze Insel nach Reykjavík. Die Pferde hatten wir gekauft, der Führer war für den ganzen Sommer engagiert, über reichlichen Proviant verfügten wir und abwechslungsreicher war ohne Frage dieser Ritt, als die siebentägige Schiffsreise an der vielfach nebligen Nordküste.

Derselbe Dampfer, der uns nach Island gebracht, die „Ceres" der Forenede Damps. Selsk. führte uns am 9. September wieder von Reykjavík fort.

In den folgenden Seiten habe ich den Gang der Expedition geschildert. Ich habe mich vor allem bemüht, der Natur Islands gerecht zu werden, deren großartige und mannigfaltige Schönheit mir durch manchen ungeahnten Genuß meine schwere Mission erleichtert hat.

Ich möchte nicht unterlassen, auch an dieser Stelle einer hohen Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften — insonderheit Herrn Geheimrat Branca und Herrn Geheimrat Waldeyer, die im wesentlichen das Zustandekommen meiner Expedition förderten — meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen.

Ebenso bin ich meinem Reisegefährten Herrn Dr. phil. Hans Reck für die bis ins Kleinste vorzüglich durchgeführte Leitung der Expedition zu größtem Danke verpflichtet. Er hat sich ferner der Mühe unterzogen die in meiner vorliegenden Arbeit unvermeidlichen wissenschaftlichen Angaben auf ihre geologische und geographische Richtigkeit zu prüfen.

Herrn Dr. Karl Grauer danke ich aufs Wärmste für seine Bemühungen in meinem Interesse, und Herrn Heinrich Erkes für die Revision fast aller isländischen». Namen und die Aussprache derselben.

Zum Schluß möchte ich meinem Danke Ausdruck geben, daß der Inhaber der Verlagsbuchhandlung Dietrich Reimer, Herr Konsul E. Vohsen, mir durch bereitwilliges und weitgehendstes Entgegenkommen die Herausgabe meiner Reisebilder in einer äußerlich schönen Form ermöglicht hat.

Groß-Lichterfelde-West
Im November 1909.

Ina von Grumbkow.


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