9. Tag, Efri-Fljótsdrög - Lykjafell

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Freitag, 8. August 1997


Beim stetigen Trommeln des Regens gut geschlafen. Um 6:20 Uhr 1003 Mb gleichbleibend - und gleichbleibend auch das Prasseln des Regens. Am Zelt kein Wind spürbar, draußen ist alles gleichmäßig grau. Ich fürchte, ich werde einen zweiten Tag dem Wetter opfern müssen. Hätte ich gestern doch noch weitergehen sollen? Nein, die Entscheidung war gestern richtig und etwas anderes zählt nicht. Allerdings muß ich spätestens am Montag in Hveravellir eintreffen, das bedeute morgen muß (!) ich von hier aufbrechen. Ich schlafe noch bis halb Zehn. Weiter Regen. Das einzige sonstige Geräusch ist das vertraute Brummen der Fokker 50 die zwischen Reykjavík und Akureyri pendelt. Eine knappe Flugstunde anstatt 7 Stunden Busfahrt oder 3 Wochen zu Fuß. Sollte ich wirklich in ernsthafte Schwierigkeiten kommen und Hilfe benötigen, dann muß ich versuchen der Maschine eine rote Leuchtkugel vor die Nase zu setzen - möge der Himmel dann klar sein.

Das Müsli zum Frühstück wird langsam knapp, ansonsten ist von allem noch reichlich da. Aber an einem faulen Tag braucht der Körper auch weniger und dann gibt's auch weniger. Um 11:30 Uhr immer noch Regen wenngleich er zwischendurch auch mal etwas schwächer wird. Der Luftdruck ist auf 1006 Mb gestiegen. Es ist etwas heller geworden. Leichter Nordwind steht auf dem Zelteingang. Der erste Tag seit meiner Ankunft in Island ohne Wind aus der S - SW Ecke! Um die Zeit rumzubringen will ich noch eine Runde schlafen. Mache mir aber Gedanken über den weiteren Verlauf der Tour und erwäge in Hveravellir abzubrechen, aber entscheiden werde ich mich erst dort. Um 12.00 Uhr nur noch Nieseln. Irgendwie habe ich den Tag noch nicht aufgegeben. Die 17 km bis zu den Hundavötn die für heute eigentlich auf dem Programm stehen sind auch keine Weltreise. Werde jetzt doch nicht schlafen sondern zusammenpacken!

Aufbruch um 13:15 Uhr. Erst über den Schafzaun und dann auf die kleine Anhöhe Guðnahæð. Blick zurück zum Eiríksjökull. Der Neuschnee ist über Nacht noch tiefer herunter gekommen. Selbst aus 20 km Entfernung, oder vielleicht gerade erst aus der Entfernung (und vor allem von Norden her) zeigt dieser Plateauvulkan seine beeindruckenden Dimensionen. Wenn ich jetzt weiter nach Nordwesten gehe, wird sich schließlich das Jökulsstallar-Plateau vor den Eiríksjökull schieben. Das Wetter wird immer besser, auch der letzte Nieselregen hat aufgehört und die Wolken reißen auf. Vor mir liegt eine weite Sanderfläche, ähnlich der zwischen dem Lavafeld und dem See. Die in der Karte eingezeichneten Gletscherbäche sind trockengefallen. Ich nahm an, daß die Furten eventuell Schwierigkeiten machen könnten aber nun stellt sich mir etwas anderes in den Weg. Aus dem Plateau der Jökulstallar springt genau nach Norden und quer zu meinem Weg, wie eine Mauer ein niedrigeres Plateau vor - das Hraunshorn. In der Karte ist der Steilabbruch eingetragen und ich weiß daß es hier interessant wird, aber dieser Abbruch hat an seiner Oberkante eine Deckschicht die eine senkrechte Felswand bildet. Während der knappen Stunde, die ich auf dieses Hindernis zu marschiere, habe ich ausreichend Gelegenheit es mit den Augen nach einer Bresche abzusuchen. Aber jede scheinbare Lücke sieht beim Näherkommen nach heikler Kletterei aus. Das Hraunshorn nördlich umgehen bedeutet 4 bis 5 km Umweg - nicht gerade verlockend. Der einzige Weg kann eigentlich nur an der Stelle sein wo das Hraunshornplateau an das höhere Basaltplateau stößt. Also halte ich ostwärts auf diesen Zwickel zu. Aus einer steilen Schlucht fließt ein kleiner Bach und sorgt für etwas Grün am Fuß der Abbrüche. Im Moos haben sich alte Hufspuren erhalten. Tatsächlich zieht eine oft nur undeutlich erkennbare Pfadspur steil die Schutthalde des höheren Plateaus hinauf und erreicht die Oberkante des Hraunshornplateaus genau dort wo es am Hang ansetzt.

Krákur
Der Hang ist steil und das lockere Geröll bedeckt teilweise nur kaum den Fels. Es sind nur etwa 50 Höhenmeter und es ist schneller geschafft als vermutet. Von der Plateaukante hat man einen schönen Blick zurück nach Westen. Aber das Hraunshorn hätte nicht seinen Namen wenn es dort kein Lavafeld gäbe. Nach ein paar niedrigen Lavarücken kommen weite Strecken flacher Lavafladen auf die oft frei von irgendwelchem Gesteinsschutt sind und auf denen man geht wie auf einer bucklig gepflasterten Straße. Ein kleiner Gletscherbach hat sich eine schmale, kaum ein, zwei Meter breite Klamm in den hier massiven hellgrau angewitterten Basalt gesägt. Die Klamm zeigt keine Bruchkanten, die Becken, Kolke und Strudellöcher sind wie geschliffen. Immer wieder sonnige Abschnitte bei leichtem nördlichen Wind. Nach der flachen Lava des Hraunshorn geht es über eine weite Ebene mit großen Steinringen und dicken Moospolstern. Schließlich ein langer aber etwas mühsamer Aufstieg über Frostschutt und Girlandenböden in die flache Einmuldung zwischen dem Rücken des Krákur im Norden und dem nördlichen Rand des Langjökulls. Þröskuldur, Schwelle oder Hindernis heißt dieser niedrige Paß. Bin begeistert von den Frostmusterböden, alles wie im Lehrbuch. Aber es ist leider kein Untergrund auf dem man schnell vorwärtskommt.

Ich bin jetzt auf 800 m ü. NN. Bis zum Eisrand sind es nur noch etwa 100 Höhenmeter. Pause im Windschatten auf der Südseite eines großen Felsens. Genieße die vollkommene Einsamkeit und den Blick auf die flach konvexe Kuppel des Langjökulls. Die Sonne wärmt etwas, aber nicht genug um den über Nacht gefallenen Neuschnee an den Hängen des Krákur schmelzen zu lassen. Es ist schon später Nachmittag und bis zum westlichen der Hundavötn (Hundeseen) müßten es noch knapp 3 km sein. Helluhraun verspricht nicht nur die Kartensignatur, sondern das Lavafeld selbst heißt so. Und tatsächlich geht es nun leicht bergab über große Lavaplatten, auf denen ab und zu Schuttnester liegen, die aber leicht umgangen werden können. Die Füße freuen sich über den trittfesten Untergrund. Nach der Karte sind es nur ein paar kleine, verzweigte Bäche die vom Langjökull zum westlichen See fließen. Aber vor mir liegt langer, flacher See in einem Schwemmland und versperrt mir den Weg nach Osten. Anstatt über flache Lava gehe ich nun über von Trockenrissen durchzogenen Seeböden. In Wassernähe allerdings ist der Boden durchfeuchtet und schlammig instabil. Ich werde weiter nach Norden abgedrängt, überquere mehrere kleine Bäche und mache mir schon Sorgen über den Weiterweg. Wenn dieser flache See schon ein Teil des westl. Hundavatn ist, dann muß ich ein gutes Stück zurück nach Süden um diese nicht in der Karte verzeichnete Bucht zu umgehen. Erst mit Erreichen des eigentlichen Hundavatn zeigt es ich daß zwischen beiden Seen ein etwa 50 m breite und 1 m hohe Felsschwelle liegt, die auf ihrer ganzen Breite überflossen wird. Auf der ersten Hälfte des Weges über diese Schwelle ist das Wasser flach genug aber dann muß ich doch die Schuhe ausziehen und waten.

Hundavötn
Ein steiler Bergrücken trennt mich von einer weiteren Bucht des Sees an deren Ende ich hoffe einen Zeltplatz zu finden. Um mir unnötige Höhenmeter im steilen Geröll zu ersparen halte ich mich erst etwas über dem teilweise senkrecht abfallenden Ufer nach Norden und überquere dann den schon deutlich niedrigeren Rücken. Auf seiner Ostseite erwartet mich eine Überraschung in Form eines großen Altschneefeldes. Altschnee vom letzten Winter hatte ich auf dieser Tour nur ein paar kleine Flecken im Kaldidalur und gefunden. Auch am anderen Ufer der Bucht hat sich dicht über der Wasserfläche ein kleiner Schneekragen erhalten. Ich steige noch etwas höher um das Schneefeld dort zu queren, wo es sich etwas zurückneigt. Ich habe keine Lust nach einer eventuellen Rutschpartie auch noch im Wasser zu landen. Der Schnee ist jedoch aufgefirnt und griffig. Trotzdem bin ich ein weiteres Mal froh um meine Skistöcke. Das Schneefeld zieht sich bis in den hintersten Winkel der v-förmig eingeschnittenen Bucht. Der Blick zurück zeigt, daß das Schneefeld mit einer über 10 m hohen Abbruchwand in den See abfällt. Etwas oberhalb des Abbruchs klafft eine tiefe Spalte. Im Jahrbuch des FÍ zeigt ein Bild aus den siebziger Jahren die selbe Stelle. Das Bild hatte mir während der Vorbereitung Rätsel aufgegeben, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß der Gletscher bis hierher zu den Hundavötn reicht. Es ist also kein Gletscher aber offensichtlich ein Altschneefeld welches in keinem Sommer ganz abschmilzt. In gleicher Höhenlage findet sich in der Umgebung aber kein anderes ähnlich mächtiges Schneefeld. Es ist anzunehmen, daß es fast ausschließlich von Driftschnee der vom Langjökull herabkommt und sich dann im Lee diese Nordosthangs ablagert aufgebaut wird.

Djöflasandur
Hier gibt es keine Möglichkeit zu zelten, es gibt nicht einmal einen Zugang zum Wasser. Doch in der Karte ist etwa ein Kilometer weiter südlich des Lyklafell ein Tal mit einem kleinen Bach eingezeichnet. Also weiter. Der kurze Abstieg in dieses Tal wird allerdings durch eine Schneewächte behindert die nur an einer Stelle flach genug ist um einem schweren Rucksack auf dem Rücken gefahrlos abrutschen zu können. Der Schnee hat aber den Vorteil, daß er mit seinem Schmelzwasser eben diesen Bach speist auf den mich meine Hoffnung setze. Von der Talschulter aus wirkt er mit seinen moosigen Rand auch ganz einladend, bis er dann auf einer weiten Ebene im Blockschutt versickert. Der Talboden ist durchnäßt und man droht über die Knöchel zu versinken. Weiter am Rand beginnt schon der Hangschutt des Lyklafell. Der Berg, ein steiler, etwa 200 m hoher Kegel, scheint nur aus Gesteinsschutt zu bestehen. Ich suche ziemlich lange, gehe auch wieder ein gutes Stück zurück, bis ich mich für einen Platz entscheide. Zwischen größeren Felsblöcken ist er ist gerade groß genug für das Zelt aber hängt seitlich und besteht aus vielen spitzen Steinen und nur etwas Moos. Ich hole Wasser und verkrieche mich gerade rechtzeitig im Zelt, da sich tiefe Wolken von Norden her zwischen die Berge schieben und es zum Graupeln beginnt. Es ist 21:00 Uhr als ich anfange mir mein Abendessen zu kochen. Verschiebe die Aufzeichnungen auf morgen. Die letzten Gedanken im Schlafsack liegend sind, daß das, was da in dieser Stille so leicht und sacht abrutschend auf das Zelt fällt, wohl kein Regen mehr sein kann.


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