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Bláfjöll
am Leiti
Kurze Pause. Von der Ringstraße herauf dringt Verkehrslärm. Langsam steige ich hinunter zur
Straßenkreuzung. Die nächsten 3 km führt der Reykjavegur entlang der Ringstraße. Fühle mich so
deplaziert wie ein Spaziergänger auf der Salzburger Autobahn. Es ist Freitag Nachmittagverkehr.
Halb Reykjavík ist
auf der Flucht ins Wochendende und hetzt Richtung Hveragerði. Nutze eine Lücke in der Kolonne
um auf die linke Straßenseite zu wechseln, da ist weniger Verkehr und ich sehe ihn wenigstens
kommen. Viel Schrott neben der Straße. Alle paar Meter leere Apfelsinensafttüten mit Plastikhalm -
Der Tetrapack-Leithorizont. Die meisten Autos ziehen entweder einen Campinganhänger hinter
sich her, oder sind bis unters Dach beladen. Im Lärm der dicken Reifen rauschen die Geländewagen
vorbei - auf in die Natur! Gesichter kann ich nur für Sekundenbruchteile hinter den
Windschutzscheiben erkennen. Bleiche Hamburger-und-Fritten-Zombies im T-Shirt und
Sonnenbrille. Was muss eigentlich jede zweite Beifahrerin im Handschuhkasten kramen? Ich
glaube ich bin nicht mehr ganz zurechnungsfähig, leide an Verfolgungswahn oder schon an
Hochlandpsychose. Endlich kann ich links abbiegen und den Albtraum hinter mir lassen. Nehme
den Verkehr als eine Welt wahr, die mit meiner (der für mich wirklichen - das nehme ich in
Anspruch!) nichts gemein hat. Nein, ich bin heute noch keinem Menschen begegnet, das da eben
waren nur Autos. Ich lasse die Ringstraße hinter mir - bis zum Mývatn? Nicht dran denken. Obwohl
ich es aus Erfahrung weiß, daß es möglich ist, kann ich es mir im Moment nicht vorstellen, es
ist noch zu weit weg.
Die Pflöcke verlaufen in etwas Abstand zu der Schotterstraße in die Slegjubeinsdalir. Jetzt am
späteren Nachmittag ziehe ich es vor auf der Straße zu gehen. Ich kann vor mich hintrotten ohne
auf meine Schritte achten zu müssen. Müde und mit brennenden Füßen bringe ich die 2-3 km bis
ins Slegjubeinsdalir hinter mir. Nach der Beschreibung umgeht der Reykjavegur das
Hengill-Massiv im Westen. Die Pflöcke ziehen aber zielstrebig über die Buckelwiesen in den
Talwinkel hinein und biegen nicht wie erwartet links ab um den Hangfuß des Húsmúli zu folgen. Ich
stapfe jetzt über die Wiese und bin gespannt wo mich die Pflöcke hinführen. Wieder ein paar
Skilifte die aussehen wie aufgelassene Kohlenzechen mit planierten Abraumhalden. Auch wieder
diese verrammelten Hütten. Ich folge den Pflöcken bis in die steile Hammragil und finde dort auch das
dringend benötigte Wasser und einen Platz für das Zelt. Oben in der Schlucht verwehte Schwaden
einiger Dampfquellen. Nachdem der Himmel sich am Nachmittag bezogen hat fängt es jetzt wie
bestellt an zu regnen.
Es ist 17:00 Uhr und ich bin ziemlich fertig. Kaum gedöst. Koche mir mein Abendessen: Chili con
Carne und inspiziere danach die etwa 200 weiter unten am Bach gelegene gelegene dreieckie
Hütte. Ist das "die" Hütte, die es hier geben soll? Vor dem verschlossenen Eingang liegen 4 volle,
aber teilweise zerfetzte Müllsäcke und ein Blick durchs Fenster zeigt, daß es drinnen nicht viel
beser aussieht. Was mir mehr Bedenken bereitet ist die Tatsache, daß die gelb-blauen
Markierungen tatsächlich weiter in die Schlucht hinaufführen. Da drohen einige steile
Höhenmeter! Werde ihnen morgen folgen - konnte ich mich bisher auf die Markierungen gut
verlassen.
Bin endlich mal wieder frühzeitig (7:50 Uhr) losgekommen. Auch heute wieder perfektes
"Bergwetter". Gehe ein kurzes Stück auf der Straße, welche die Skilifte miteinander verbindet.
Nach wenigen hundert Metern finde ich wieder die gelb-blauen Markierungspflöcke. Stetig
ansteigend umgeht der Weg den Kamm der Bláfjöll im Süden über die Heiðin há. Auf der Ostseite
der Bláfjöll wird noch der Kerlingarhnjúkur (630 m) mitgenommen. Dann folgt ein langer Abstieg
bis auf 340 m ü. NN. Phantastische Fernsicht auf Eyjafjalla-, Mýrdals- und Tindfjallajökull und
weiter nördlich bis zur Hekla. Im Gegenlicht spiegelt das Meer und die breite Mündung der Ölfusá.
Draußen wie Scherenschnitte die Vestmannaeyjar. An einer windgeschützten, grasigen Stufe mache
ich Pause und genieße die Aussicht. Nach dem Abstieg zum Fjallið eina macht mir zunehmend der
schneidend kalte Nordwind zu schaffen.
An einem kleinen See (Wegpunkt TJORN) mache ich Halt, tanke Wasser und döse etwas in der
Sonne. Es ist 11:30 Uhr. So gut ich heute Morgen drauf war, jetzt bin ich einem Motivationsloch.
Der An- und der Abstieg haben Kraft gekostet. Am Krater Leiti mache ich Mittagspause. Ein
offensichtlich neu aufgestellter Wegweiser bestätigt mir, nach immerhin 90 Kilometern zum
erstenmal, daß ich mich auf dem Reykjavegur befinde. "Sleggjubeinsdalir 13 km" lese ich - nanu,
das sind 3 km mehr als ich aus der Karte gelesen habe. Vorbei an den beiden Kratern Syðri- und
Nyðri Eldborg. Nach dem letzteren führt der Weg über ein hoch aufgeworfenes Lavafeld, in dem
man kaum ein paar Schritte geradeaus gehen kann. Man überklettert hohe Wälle, steigt in tiefe
Löcher ab, versucht nicht an großen, scharfkantigen Brocken hängenzubleiben, tritt auf wackelnde
Trümmer und Moos, das tückische Löcher verdeckt, und windet sich langsam auf den Lambafell zu.
Lavafelder sind Geduld- und Kraftproben und verlangen Trittsicherheit. Ohne Trekkingstöcke
würde ich mich hier äußerst unwohl fühlen. Gerade noch ohne Zuhilfehahme der Hände geht es den
Rand des Lavafeldes hinunter und dann noch die 20 Höhenmeter hinauf zur Lambafellsskarð.
Endlich wieder verlässlicher Untergrund.
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7. Tag Sleggubeinsdalur - Stangarháls