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5. Tag, Kaldársel - Bláfjöll

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Copyright © Dieter Graser

Donnerstag, 12. Juli 2001


Um 6:00 Uhr strahlender Sonnenschein und keine Wolke am Himmel. Aufbruch um 8:30 Uhr. Leicht aufsteigend das Tal hinauf, in das Tal in das die Spaziergänger gestern Abend alle gegangen sind. Zwischen Húsfell und Helgafell hindurch dann über das weite Lavafeld des Húsfellbruni. Bald trifft man auf die Steinwarten des alten Weges Selvogsgata. Und auch hier sind auf der flachen Fladenlava die ausgetretenen Spuren der Pferdekarawanen zu sehen. Ein widerspenstiger Stacheldrahtzaun muß in dieser Eineöde geöffnet und wieder geschlossen werden, ohne daß man an ihm hängen bleibt. Ein paar kleine, hohe Wölkchen zeigen sich bei leichtem NW (Rücken-)Wind am Himmel. Es ist ein Traum! Allmählich weiß ich, wie der Gregory am besten einzustellen ist und ich bin höchst zufrieden mit dem neuen Ruck-"sack".

SelvogsataSelvogsgata
Die Selvogsgata hält gerade auf eine wie eine Mauer aufragende Bergkette zu. Nach 7 km quere ich die Schotterstraße 417 ohne auch nur ein Auto gesehen zu haben und gehe an einer orangeroten Nothütte vorbei. Dann geht es erst langsam und dann steiler und steiler werdend hinauf zur Grindasköršscharte. Das sind gut 300 Höhenmeter die es in sich haben. Inzwischen weiß ich, wie man unter schwerer Last solche Anstiege meistert. Der Trick ist die Gehgeschwindikeit einer kontanten Atemfrequenz anzupassen. So steige ich zwar langsam, aber auch das besonders steile Schlußstück, ein einem Zug durch. Alpine Kulisse mit steilen Felsen, einem Kar und Schuttreißen. Tatsächlich geht der Weg zwischen den Basaltköpfen Mišbollar und Sušurbollur, also über die Kerlingarskarš und nicht über die etwas weiter nördlich gelegene Grindaskörš und folgt somit damit der Selvogsgata. Der Verlauf des Weges ist auch hier eindeutig durch die gelb-blauen Pflöcke gekenzeichnet. Und im Zweifelsfalle folge ich lieber den Pflöcke als der Beschreibung.

Oben in der Scharte ausgiebige Mittagspause mit Blick auf Reykjavík und Snęfellsjökull. Dann verlassen die Pflöcke die Selvogsgata und es geht auf der Hochebene Richtung Bláfjöll. Komme an einem schönen, grünen Wiesenplatz mit einer Stufe, die zum Hinsetzen und Ausruhen einlädt, vorbei. Schade, daß es hier kein Wasser gibt - hier wäre gut bleiben. Die kahlen und für den Skibetrieb planierten Hänge der Bláfjöll, denen ich mich nun nähere, sind nicht besonders einladend. Wo werde ich dort wohl Wasser finden? Schneereste, auf die ich meine Hoffnung setzen könnte, gibt es keine mehr.

WrackFlugzeugwrack
Nicht weit vom markierten Weg entfernt liegen zwei durch einige Steine halb aufgerichtete 6-Zylinder Sternmotoren eines Flugzeugwracks. Sie zeigen in Flugrichtung Ost. Ein Hauptfahrwerk ist neben den Mororen das größte übriggebleibene Einzelteil. Alle anderen größeren Wrackteile sind wohl schon vor Jahrzehnten abtransportiert worden. Zerknülltes Alublech läßt erkennen, daß die Maschine einmal gelb lackiert war. Der Boden ist bedeckt mit vielen undefinierbare Kleinteilen, Kabeln, und einer Unmenge an Holzsplittern. An einer geplatzten Batterie kann ich noch "R.A.F. Gear" entziffern. Das ist alles. Nein, ganz zum Schluß entdecke ich noch etwas abseits die Sohle eine eines Stiefels mit Gummiprofil und einen zweiten Sohlenteil eines kleineren Schuhs, auch ein verwittertes Stück Stoff oder Leder das Teil einer Fliegerkappe gewesen sein könnte. Ein Wunder, daß der Wind diese leichten Teile nicht fortgetragen hat. Ich lasse alles an seinem Ort liegen und verändere nichts. Es ist schon erschütternd. Erst war ich fasziniert von dem "technischen" Wrack, aber plötzlich wird auch die menschliche Dimension des Unglücks erahnbar.

Es sind nur noch 1,5 km bis zur Skihütte Breišablik. Die Einrichtungen des größten Skigebietes Islands gleichen einer Geisterstadt. Beton, weite, leere, staubige Parkplätze, verrammelte Gebäude, Werbeschilder, Abfall der darauf wartet wieder gnädig von Schnee bedeckt zu werden. Trostlos wie alle ausnahslos alle Skigebiete im Sommer. Einzig eine mir entgegenkommende Gruppe von Kindern mit zwei jugendlichen Begleitern beleben die Szenerie. Die Kinder tragen alle Fahrradhelme und werden noch einmal eindringlich von der jungen Frau ermahnt, bevor sie in das Lavafeld gehen. Sie erklärt mir, daß es dort begehbare Höhlen gibt, die sie nun besuchen werden. Ob sie weiß, ob es hier irgendwo Wasser gibt? Nein - scheinbar nicht. Kaum sind sie hundert Meter gegangen rufen sie mir zu "Hér er vatn!" Tatsächlich - in einer kleinen Moorschlenke steht klares (?) Wasser. Abgekocht müßte es verwendbar sein. Zurück zum deponierten Rucksack und in einer nahen Lavamulde einen perfekt geschützten Zeltplatz gefunden. Der übliche einstündige Schlaf im sonnigen Zelt. Gekocht und dann zu einem Abendspaziergang zu den Stampahellir aufgebrochen. Zwei der Höhlen sind gut zugänglich und auf kurzer Strecke einfach zu begehen - so lange noch genug Licht durch die eingestürtzte Hölendecke fällt. Die Höhlen gleichen mit ihren flach ovalen Querschnitten eher Druckstollen. Deutlich erkennt man die Fließspuren der dünnflüssigen, glühenden Lava. Zurück zum Zelt und anden Tagebuchaufzeichnungen.Hoch über mir brummt eine laute, alte Propellermaschine einige Runden über den Bláfjöll. Es wird kalt. Bin doch deutlich höher als die letzten "Nächte".


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