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Nach drei Tagen sehr fleißiger Arbeit von uns allen
waren die nötigen Vorbereitungen beendet und wir
konnten unseren Ritt ins Innere antreten.
In den Einsamkeiten der Halbinsel Reykjanes,
durch die unser Weg uns geführt, ward uns schon
mancher Einblick in die Eigenart der isländischen Natur.
Wenn das völlige Fehlen der Bäume nicht so
überraschend auffiel, wie man erwarten dürfte, mag es seinen
Grund darin haben, daß das Auge im Genuß unendlicher
Fernsichten, welche die klare Luft Islands immer auf
Meilen bietet, vollkommen Ersatz fand für diesen in
den Einzelbildern der Nähe fehlenden Faktor. Hier
fesselte das stundenlang sichtbare Ziel mehr als der
Weg. Im Innern der Insel war dann das Antlitz der
Natur durch die Wildheit der Gebirge, die
Gletscherströme, Triebsande, Geröllwüsten und Sandflächen so
verändert, daß man sich nicht mehr Rechenschaft darüber
gab, daß alle Vegetation fehle.
Der erste Ritttag brachte uns von Reykjavík zu
dem malerisch gelegenen Pfarrhofe Thingvellir am
Thingvallavatn. (Thing = Volksversammlung, valla gen.
von vellir = Ebene, vatn == See). Am zweiten Tage
erreichten wir nach elf Stunden den Großen Geysir.
An diesen zwei Tagen begegneten wir mehr als
einem Dutzend Wollkarawanen. Voran reitet langsam
der Farmer, der Schafwolle nach Reykjavík bringt,
in langem Zuge folgen ihm im gleichen Tempo,
eins hinter dem anderen, die unter ihren beiderseitigen
riesigen Wollpacken bis auf die kleinen Beine unsicht-
baren Pferdchen. Am Ende reitet ein zweiter Mann,
damit keines zurückbleibt, sich beim Grasfressen ver-
gessend.
Vom Großen Geysir ritten wir tags darauf zwölf Stun-
den, teilweise durch malerische Gegenden in der Arnes-
Sysla (Ssyla = Amt, Distrikt), zuletzt durch endlose Ebenen.
Schon Stunden
ehe wir sie erreichten, täuschte uns das Mitternacht-
zwielicht die weißen Pfeiler der eisernen Ţjórsá-Brücke
als ganz nahe vor. Ermüdet und gelähmt durch die
Einförmigkeit der Szenerie kamen wir endlich in
Ţjórsárbrú an. Die gleich darnach aufgehende
Sonne belebte uns wieder. Auch den folgenden Tag
hatten wir einen sehr ermüdenden Ritt. Der schlechte
Landweg war zu steinig, als daß wir flott hätten reiten
können und trotzdem wirbelten wir Staubwolken auf, die
uns wie wallende Fahnen umwehten. Breite Gräben
trennten uns beiderseits von dem sumpfigen Wiesenland
und stundenlang zog sich schnurgerade die Straße weiter,
die wir dann endlich verlassen konnten, um nun aber
auch wochenlang keinen Weg mehr zu Gesichte zu
bekommen. Erst nach elf Stunden kamen wir in Galta-
laekur am Fuße der Hekla an. Am folgenden Tage
bestieg Herr Reck dieselbe mit Sigurđur.
Da die Gegenden zwischen Reykjavík, dem Großen
Geysir und der Hekla zu den bekanntesten und am
meisten beschriebenen Teilen Islands gehören, darf ich
darauf verzichten ihrer hier zu gedenken.
Die Farm Galtalaekur, bei der wir unser Lager
aufgeschlagen, liegt auf blumigen Wiesen, an klarem
Gebirgsbach am Fuße der Heklavorberge. Von hier
aus führten uns unsere weiteren Pläne, deren nächstes
Endziel die Kraterreihe Laki war, für einige lange
Tagesritte größtenteils durch wildes Gebirge. Die 25
km lang sich erstreckende Kraterreihe von Laki ist
schwierig zu erreichen und wohl aus diesem Grunde
fast unbekannt. Außer dem älteren isländischen Ge-
lehrten Magn. Stephensen, der 1785 eine Arbeit darüber
erscheinen ließ, Sveinn Pálsson und Jón Steingrimsson,
ist sie meines Wissens nur von dem Norweger Professor
A. Heiland 1883, von Professor Th. Thoroddsen und
von Professor Sapper-Tübingen 1907 besucht worden.
Vörđur ( Vörđur PL, Varđa Sing. = Warte, Steinpyramide)
aus Lava, Obsidian, Schlacken oder Gras-
soden — je nachdem was der Boden bietet — bis zu
2 Meter hoch errichtete Pyramiden bezeichneten jetzt
den „Weg" für uns.
In den unbewohnbaren Wüsten Islands, die nur
äußerst selten von Karawanen gekreuzt werden, sind
Wege nicht angelegt worden. Niemals bestand ein
Bedürfnis für solche. Die in ziemlich regelmäßigen
Abständen von 200 Metern aufgestellten Vörđur
ermöglichen nun wenigstens eine Wegrichtung innezuhalten.
Die gute alte Sitte, daß jeder Vorübergehende aus
Dankbarkeit, daß er selbst seinen „Weg" findet, für die
ihm später Folgenden einen weiteren Stein zum Varđa
legt, scheint abzukommen.
Die Vörđur dieser Strecke sollen teilweise sehr
alten Ursprungs sein und wurden wohl erst in jüngster Zeit
mit den Nummern auf kleinen Holzschilden versehen.
Bei Galtalaekur befand sich No. 798 und No. l bei der
Farm Svartignupur in der Ebene Skaptärtunga, zwischen
diesen beiden einander zunächst liegenden Farmen eine
Entfernung von 80 km in wildem Gebirge. Dieser
beschwerliche Weg wird vermutlich jetzt selten benutzt
im Vergleich zu den alten Zeiten, in welchen die
Isländer einerseits in ihren Landreisen weit
unternehmenderwaren, andererseits aber auch diese Gegenden
vor den letzten verheerenden Ausbrüchen der Hekla
und anderer Vulkane eine dichtere Besiedlung
aufwiesen.
Unser Ritt begann auf hübschem Hochplateau, das
teils von stark duftenden Zwergbirken, teils durch mit
Blumen geschmückte Grasflächen bedeckt war. Bald
wurde die Vegetation spärlicher und wir ritten über
endlose Flächen von vulkanischem Grus.
Fünf Stunden lang hatten wir den eleganten,
wuchtigen Bau der zirka 1500 Meter hohen, jetzt von
ihrer Wolkenhaube befreiten, schönen Hekla zur Rechten
in nordnordöstlicher Richtung. Die Heklakette, die wir
umreiten mußten, hat eine Längenausdehnung von fast
30 km, ihre Haupterhebung, die Hekla selbst, befindet sich
im Süden derselben. Als wir wieder direkt östliche
Richtung einschlagen konnten, änderte sich sofort das
Landschaftsbild. Interessante Bergformen gaben dem Auge
Abwechslung. Die Fernsicht, welche dem Reiter lächelnd
beständig das Ziel zeigt, das er oft erst nach acht Stunden
erreicht, machte, durch Wegbiegungen hervorgerufenem
jähen Wechsel der Szenerie Platz. Ein — einst wohl
liebliches — Tal breitet sich vor uns aus, an unserer
Seite schließen schroffe Klippenwände es ab, es mochte
3—4 km breit sein und war ganz erfüllt von einem
mächtigen, pechschwarzen, wildzackigen Lavastrom.
Wilden Wogen gleich mögen einst diese Gluten
an die starren Wände gebrandet und gegenüber dem
Widerstand der Bergwand mälig erkaltet sein, noch
meint man die kühne Bewegung, den mächtigen Schwung
zu sehen. So nahe drängen sich die schwarzen Fluten
an den Fuß der Berge, daß nicht einmal für die
zierlichen Hufe der isländischen Ponies, die so wenig
Platzes bedürfen, um sicher zu schreiten, Raum genug
bleibt, wir müssen zum Teil über die Wellenkämme und
durch die Wellentäler der Lava klettern. Den Strom
hier zu kreuzen, wäre mit Pferden eine Unmöglichkeit,
für Menschen allein indessen eine große Gefahr des
Verirrens, da die mehrere Meter hohen Spitzen immer
aufs Neue den Fernblick verhüllen, wenn man, nach
mühsam erkletterter Orientierung auf ihrer Höhe, doch
wieder von den Zacken hinab muß, um weiterzukommen.
An einem Grasfleck ruhten wir ein wenig. Von
dort lief ein verirrtes Lämmchen eine halbe Stunde
neben uns her, uns fortgesetzt in kläglichsten Tönen
sein Leid erzählend. Wenn wir ihm auch nicht teil-
nehmend in seiner Sprache antworten konnten, sahen
wir befriedigt, daß es zu mehreren seinesgleichen zu-
rückfand. Es war ein hübsches Tier in schneeweißem
und sehr wolligem Fellchen, wie das fast aller islän-
dischen Schafe. Sie haben, im Vergleich zu unseren
Schafen gewandtere Bewegungen, durch ihre völlig freie
Lebensweise während der warmen Jahreszeit und das
viele Klettern an steilen Berghängen auf der Suche
nach ihrem Futter erwerben sie vermutlich diesen
Vorzug. Im Beginn des Sommers werden in Island
die Schafe auf die Sommerweiden — die Grasflächen
im unbewohnten Innern — getrieben, sie bleiben hier
ohne Aufsicht und werden im Herbst wieder zusammen-
getrieben. Die Farmer der einzelnen Distrikte ziehen
zu diesem Zwecke gemeinsam aus, sind tagelang
unterwegs und finden nicht immer alle Tiere. Viele mögen
sich in den Wüsten verlaufen; mehrfach sahen wir die
von Luft und Sonne gebleichten Knochen, und auf der
Höhe des Berges Laki, von wo sich auf mindestens
30 km im Umkreis keine Ansiedlung befindet, trafen
wir zwei weidende Schafe an.
Nachdem wir einige Stunden in felsiger Gegend
geritten, kamen wir über sumpfige Wiesen, die mit
großen Mengen seidenweichen Wollgrases und vielen
Blumen bestanden waren. Es war aber nicht geraten,
sich botanischen Studien hinzugeben, die Pferde
versanken in dem, von hohem Gras völlig verborgenen
Schlamm oft bis zum Bauch; am sichersten folgte man
dem Voranreitenden, der glücklich hindurchgekommen.
Nachts 11 Uhr kamen wir in einem mit gutem Gras
bestandenen Talkessel, der ungefähr 2 km im
Durchmesser hatte, an. Ein frischer Gebirgsbach durchströmte
ihn und hohe, steile Berge mit bizarren Schneeflecken
geschmückt, umgaben ihn, überragt von dem Löđmundur.
Wenn ich zurückdenkend, mich für einen unserer
31 verschiedenen Zeltplätze als dem malerischsten oder
interessantesten aussprechen sollte, wüßte ich — außer
der Askja — keinem den Vorzug zu geben. Die
Landschaftsbilder, welche sich uns boten in Sonne, Nebel,
Sturm, Schnee, Nacht und Tag waren so überaus
mannigfaltig, daß ein jeder sich mit individuellen Reizen
verschönte.
Jón Trausti (Jön Trausti, isländischer Autor in seiner Einleitung
zu „Heiđarbylid".) spricht wahr, wenn er den Vorwurf
erhebt, man begnüge sich an den Küsten Islands
vorüber zu fahren; sogar der Isländer selbst kenne die
wunderbar schöne und eigenartige Natur des Herzens
seiner Heimatinsel nicht, — wieviel weniger aber der
Fremde, der oft nur einige Tage auf der Insel bleibt.
Den ganzen nächsten Tag ritten wir bergauf, bergab
durch das wilde Liparitgebirge, welches die Ebene
Skaptärtunga, an der Südküste von dem inneren
Hochland trennt. Der Gletscher des Torfa-Jökull überragte
gegen Süden die Berge, die viel Schnee trugen. Weit
um uns breitete sich ein bimsteinüberwehtes Hochplateau,
aus dem riesige Schlacken in düsteren Farben hervor-
ragten, grell abstechend gegen die weißlichen Sande.
Dazwischen wieder lagen große Stücke Obsidian (schwar-
zer Glasfluß) deren wie poliert erscheinende Bruch-
flächen in der Sonne blitzten und funkelten.
Dann wieder führten die Vörđur steil hinab an
dunkel verwitterten Liparitwänden, an deren Fuß große
Schneeflecken das smaragdgrüne Moos am Boden der
Talsohle noch halb bedeckten. Einige über meterhohe
Archangelica-Stauden(Archangelica offic. Hoffmann. Engelwurz.
Gattung der
Familie Umbelliferen. In Island gewöhnlich Hvann-njólarnjr =
Sumpf-Stauden, genannt) standen einsam und stolz
aufgerichtet an dem silbernen Wasserfaden, welcher unter
dem Schnee hervorsickernd, das kleine Tat derart
durchtränkte, daß wir, absteigend um den Pferden kurze
Rast zu gönnen, bis über die Knöchel in Sumpf
einsanken. Nach mehrfacher Kreuzung eines
wildschäumenden Baches erklommen wir wieder einen anderen
Höhenrücken — um bald darauf an sehr abschüssiger
Bergflanke eine breite Schneebrücke zu überschreiten.
Absteigen hieß es und vorsichtig die Pferde führen, —
abwechselnd sank Mann wie Pferd bis zum Knie ein, aber
glücklich kam alles über das Schneedach hinüber.
Stunden und aber Stunden brachten uns diese
mühevolle Abwechslung. Als wir auf dem letzten Hochplateau
über Gerölle und Sumpfflecke trabten, hüllten kalte
Nebel uns ein, und wie wir das Ende erreichten, von
wo im sanften Abfall der ungefähr eine deutsche Meile lange
Ausläufer des Gebirges sich in die Skaptártunga erstreckt,
sahen wir über die Schlacken der berühmten Spalte Eldgjá
zu Tal rutschend, bis hin zum Ozean die Ebene gleich
einer Landkarte vor uns ausgebreitet. Genau auf
dem Grat des schmalen Bergfußes ritten wir hinab,
zu beiden Seiten tiefe Abgründe, die sich im Dämmer
verloren. Im Tal gelangten wir nach einer Stunde zu
einem tiefen, reißenden Fluß, der Syđri Ofaerá.
Jetzt zwang mich die eigene Sicherheit, wieder
wach zu werden — nach zehn Stunden Ritt pflegte ich
nahezu auf dem Pferde einzuschlafen — hörte ich doch
Sigurđur bestimmen, daß „die Dame das große
Pack-Pferd haben müsse." Das „große Pack-Pferd" zu
reiten, war glücklicherweise ein Genuß, der sich mir
selten bot. Da nach Flußübergängen gleich weiter
geritten wurde, mußte ich es natürlich die nächsten drei
bis vier Stunden behalten, ein Umsatteln extra für mich
hätte viel Mühe verursacht. Daß ich bei täglich
zwölfstündigem Ritt nicht zu graciösem englischen Trab
aufgelegt war, wird man begreiflich finden, — das „große
Packpferd" ging aber sehr hart. Es wurde auch nur
verabreicht bei besonders tiefen und reißenden Flüssen,
von denen wir ca. dreißig durchfurtet haben.
Ganz hatte ich mir noch nicht die fatale Empfindung
abgewöhnen können, daß, eben im Wasser drin, das
gegenüberliegende Ufer sich sehr schnell um mich
herumdrehte. Da es nicht beruhigender war in die
zischenden, grauen Wellen unter mir zu sehen, dachte
ich es mir wundervoll, die Augen zu schließen und
hinübergezogen zu werden — ein Traum, der sich nie
erfüllt hat. Bei den reißenden isländischen Flüssen sind
die Furten, die noch dazu beständig wechseln, so schmal,
daß ein Pferd Schritt vor Schritt dem vorangehenden
folgen muß, buchstäblich kann ein Tritt zu weit zur
Seite verhängnisvoll werden. So bemühte ich mich
stets die Mitte zu halten zwischen dem Führen des
Pferdes und dem Nachgeben nach dem Willen des
klugen Tieres.
In der Folge erwies es sich als sehr heilsam, daß
ich diese Selbständigkeit erworben. So schwierige
Flußübergänge, wie sie Professor Herrmann
(P. Herrmann: Island in Vergangenheit und Gegenwart.
2 Bde. Leipzig 1907) im Süden
des Vatna-Jökull, durch die besonders tiefen
Gletscherströme mit großer Anschaulichkeit schildert, in denen
die Pferde fast durchgehends schwimmen müssen, habe
ich allerdings nicht auszuführen brauchen, vermutlich
wäre mir dies auch kaum gelungen.
Jetzt gings wieder auf die Höhe und nach drei
weiteren Stunden erreichten wir rechtschaffen müde die
Farm Svartignúpur am Varđa Nr. l.
Unser Führer Jón war zu ermüdet, um essen zu
mögen, aber wir Drei standen mit unserem Appetit
den Pferden kaum nach.
Einige jüngere Familienglieder der Farm, die der
Pferdeversorgung wegen geweckt waren, verfolgten
stumm in äußerst mangelhafter Toilette, mit großem
Interesse all unsere Unternehmungen. Voller
Sonnenschein umleuchtete die hübsche, weite Grasebene, die
im fernen Süden vom Myrdalsjökull begrenzt war, als
ich am Bach das Teller- und Schüsselsäubern beendet
und nach Erfüllung aller Hausfrauenpflichten mich zur
Ruhe begeben durfte.
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