Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel V.

Von Galtalaekur über Löđmundur nach Svartignúpur.


Nach drei Tagen sehr fleißiger Arbeit von uns allen waren die nötigen Vorbereitungen beendet und wir konnten unseren Ritt ins Innere antreten.

In den Einsamkeiten der Halbinsel Reykjanes, durch die unser Weg uns geführt, ward uns schon mancher Einblick in die Eigenart der isländischen Natur. Wenn das völlige Fehlen der Bäume nicht so überraschend auffiel, wie man erwarten dürfte, mag es seinen Grund darin haben, daß das Auge im Genuß unendlicher Fernsichten, welche die klare Luft Islands immer auf Meilen bietet, vollkommen Ersatz fand für diesen in den Einzelbildern der Nähe fehlenden Faktor. Hier fesselte das stundenlang sichtbare Ziel mehr als der Weg. Im Innern der Insel war dann das Antlitz der Natur durch die Wildheit der Gebirge, die Gletscherströme, Triebsande, Geröllwüsten und Sandflächen so verändert, daß man sich nicht mehr Rechenschaft darüber gab, daß alle Vegetation fehle.

Der erste Ritttag brachte uns von Reykjavík zu dem malerisch gelegenen Pfarrhofe Thingvellir am Thingvallavatn. (Thing = Volksversammlung, valla gen. von vellir = Ebene, vatn == See). Am zweiten Tage erreichten wir nach elf Stunden den Großen Geysir. An diesen zwei Tagen begegneten wir mehr als einem Dutzend Wollkarawanen. Voran reitet langsam der Farmer, der Schafwolle nach Reykjavík bringt, in langem Zuge folgen ihm im gleichen Tempo,

eins hinter dem anderen, die unter ihren beiderseitigen riesigen Wollpacken bis auf die kleinen Beine unsicht- baren Pferdchen. Am Ende reitet ein zweiter Mann, damit keines zurückbleibt, sich beim Grasfressen ver- gessend.

Vom Großen Geysir ritten wir tags darauf zwölf Stun- den, teilweise durch malerische Gegenden in der Arnes- Sysla (Ssyla = Amt, Distrikt), zuletzt durch endlose Ebenen. Schon Stunden ehe wir sie erreichten, täuschte uns das Mitternacht- zwielicht die weißen Pfeiler der eisernen Ţjórsá-Brücke als ganz nahe vor. Ermüdet und gelähmt durch die Einförmigkeit der Szenerie kamen wir endlich in Ţjórsárbrú an. Die gleich darnach aufgehende Sonne belebte uns wieder. Auch den folgenden Tag hatten wir einen sehr ermüdenden Ritt. Der schlechte

Landweg war zu steinig, als daß wir flott hätten reiten können und trotzdem wirbelten wir Staubwolken auf, die uns wie wallende Fahnen umwehten. Breite Gräben trennten uns beiderseits von dem sumpfigen Wiesenland und stundenlang zog sich schnurgerade die Straße weiter, die wir dann endlich verlassen konnten, um nun aber auch wochenlang keinen Weg mehr zu Gesichte zu bekommen. Erst nach elf Stunden kamen wir in Galta- laekur am Fuße der Hekla an. Am folgenden Tage bestieg Herr Reck dieselbe mit Sigurđur.

Da die Gegenden zwischen Reykjavík, dem Großen Geysir und der Hekla zu den bekanntesten und am meisten beschriebenen Teilen Islands gehören, darf ich darauf verzichten ihrer hier zu gedenken.

Die Farm Galtalaekur, bei der wir unser Lager aufgeschlagen, liegt auf blumigen Wiesen, an klarem Gebirgsbach am Fuße der Heklavorberge. Von hier aus führten uns unsere weiteren Pläne, deren nächstes Endziel die Kraterreihe Laki war, für einige lange Tagesritte größtenteils durch wildes Gebirge. Die 25 km lang sich erstreckende Kraterreihe von Laki ist schwierig zu erreichen und wohl aus diesem Grunde fast unbekannt. Außer dem älteren isländischen Ge- lehrten Magn. Stephensen, der 1785 eine Arbeit darüber erscheinen ließ, Sveinn Pálsson und Jón Steingrimsson, ist sie meines Wissens nur von dem Norweger Professor A. Heiland 1883, von Professor Th. Thoroddsen und von Professor Sapper-Tübingen 1907 besucht worden.

Vörđur ( Vörđur PL, Varđa Sing. = Warte, Steinpyramide) aus Lava, Obsidian, Schlacken oder Gras- soden — je nachdem was der Boden bietet — bis zu 2 Meter hoch errichtete Pyramiden bezeichneten jetzt den „Weg" für uns.

In den unbewohnbaren Wüsten Islands, die nur äußerst selten von Karawanen gekreuzt werden, sind Wege nicht angelegt worden. Niemals bestand ein Bedürfnis für solche. Die in ziemlich regelmäßigen Abständen von 200 Metern aufgestellten Vörđur ermöglichen nun wenigstens eine Wegrichtung innezuhalten. Die gute alte Sitte, daß jeder Vorübergehende aus Dankbarkeit, daß er selbst seinen „Weg" findet, für die ihm später Folgenden einen weiteren Stein zum Varđa legt, scheint abzukommen.

Die Vörđur dieser Strecke sollen teilweise sehr alten Ursprungs sein und wurden wohl erst in jüngster Zeit mit den Nummern auf kleinen Holzschilden versehen. Bei Galtalaekur befand sich No. 798 und No. l bei der Farm Svartignupur in der Ebene Skaptärtunga, zwischen diesen beiden einander zunächst liegenden Farmen eine Entfernung von 80 km in wildem Gebirge. Dieser beschwerliche Weg wird vermutlich jetzt selten benutzt im Vergleich zu den alten Zeiten, in welchen die Isländer einerseits in ihren Landreisen weit unternehmenderwaren, andererseits aber auch diese Gegenden vor den letzten verheerenden Ausbrüchen der Hekla und anderer Vulkane eine dichtere Besiedlung aufwiesen.

Unser Ritt begann auf hübschem Hochplateau, das teils von stark duftenden Zwergbirken, teils durch mit Blumen geschmückte Grasflächen bedeckt war. Bald wurde die Vegetation spärlicher und wir ritten über endlose Flächen von vulkanischem Grus.

Fünf Stunden lang hatten wir den eleganten, wuchtigen Bau der zirka 1500 Meter hohen, jetzt von ihrer Wolkenhaube befreiten, schönen Hekla zur Rechten in nordnordöstlicher Richtung. Die Heklakette, die wir umreiten mußten, hat eine Längenausdehnung von fast 30 km, ihre Haupterhebung, die Hekla selbst, befindet sich im Süden derselben. Als wir wieder direkt östliche Richtung einschlagen konnten, änderte sich sofort das Landschaftsbild. Interessante Bergformen gaben dem Auge Abwechslung. Die Fernsicht, welche dem Reiter lächelnd beständig das Ziel zeigt, das er oft erst nach acht Stunden erreicht, machte, durch Wegbiegungen hervorgerufenem jähen Wechsel der Szenerie Platz. Ein — einst wohl liebliches — Tal breitet sich vor uns aus, an unserer Seite schließen schroffe Klippenwände es ab, es mochte 3—4 km breit sein und war ganz erfüllt von einem mächtigen, pechschwarzen, wildzackigen Lavastrom.

Wilden Wogen gleich mögen einst diese Gluten

an die starren Wände gebrandet und gegenüber dem Widerstand der Bergwand mälig erkaltet sein, noch meint man die kühne Bewegung, den mächtigen Schwung zu sehen. So nahe drängen sich die schwarzen Fluten an den Fuß der Berge, daß nicht einmal für die zierlichen Hufe der isländischen Ponies, die so wenig Platzes bedürfen, um sicher zu schreiten, Raum genug bleibt, wir müssen zum Teil über die Wellenkämme und durch die Wellentäler der Lava klettern. Den Strom hier zu kreuzen, wäre mit Pferden eine Unmöglichkeit, für Menschen allein indessen eine große Gefahr des Verirrens, da die mehrere Meter hohen Spitzen immer aufs Neue den Fernblick verhüllen, wenn man, nach mühsam erkletterter Orientierung auf ihrer Höhe, doch wieder von den Zacken hinab muß, um weiterzukommen.

An einem Grasfleck ruhten wir ein wenig. Von dort lief ein verirrtes Lämmchen eine halbe Stunde neben uns her, uns fortgesetzt in kläglichsten Tönen sein Leid erzählend. Wenn wir ihm auch nicht teil- nehmend in seiner Sprache antworten konnten, sahen wir befriedigt, daß es zu mehreren seinesgleichen zu- rückfand. Es war ein hübsches Tier in schneeweißem und sehr wolligem Fellchen, wie das fast aller islän- dischen Schafe. Sie haben, im Vergleich zu unseren Schafen gewandtere Bewegungen, durch ihre völlig freie Lebensweise während der warmen Jahreszeit und das viele Klettern an steilen Berghängen auf der Suche nach ihrem Futter erwerben sie vermutlich diesen Vorzug. Im Beginn des Sommers werden in Island die Schafe auf die Sommerweiden — die Grasflächen im unbewohnten Innern — getrieben, sie bleiben hier ohne Aufsicht und werden im Herbst wieder zusammen- getrieben. Die Farmer der einzelnen Distrikte ziehen zu diesem Zwecke gemeinsam aus, sind tagelang unterwegs und finden nicht immer alle Tiere. Viele mögen sich in den Wüsten verlaufen; mehrfach sahen wir die von Luft und Sonne gebleichten Knochen, und auf der Höhe des Berges Laki, von wo sich auf mindestens 30 km im Umkreis keine Ansiedlung befindet, trafen wir zwei weidende Schafe an.

Nachdem wir einige Stunden in felsiger Gegend geritten, kamen wir über sumpfige Wiesen, die mit großen Mengen seidenweichen Wollgrases und vielen Blumen bestanden waren. Es war aber nicht geraten, sich botanischen Studien hinzugeben, die Pferde versanken in dem, von hohem Gras völlig verborgenen Schlamm oft bis zum Bauch; am sichersten folgte man dem Voranreitenden, der glücklich hindurchgekommen.

Nachts 11 Uhr kamen wir in einem mit gutem Gras bestandenen Talkessel, der ungefähr 2 km im Durchmesser hatte, an. Ein frischer Gebirgsbach durchströmte ihn und hohe, steile Berge mit bizarren Schneeflecken geschmückt, umgaben ihn, überragt von dem Löđmundur.

Wenn ich zurückdenkend, mich für einen unserer 31 verschiedenen Zeltplätze als dem malerischsten oder interessantesten aussprechen sollte, wüßte ich — außer der Askja — keinem den Vorzug zu geben. Die Landschaftsbilder, welche sich uns boten in Sonne, Nebel, Sturm, Schnee, Nacht und Tag waren so überaus mannigfaltig, daß ein jeder sich mit individuellen Reizen verschönte.

Jón Trausti (Jön Trausti, isländischer Autor in seiner Einleitung zu „Heiđarbylid".) spricht wahr, wenn er den Vorwurf erhebt, man begnüge sich an den Küsten Islands vorüber zu fahren; sogar der Isländer selbst kenne die wunderbar schöne und eigenartige Natur des Herzens seiner Heimatinsel nicht, — wieviel weniger aber der Fremde, der oft nur einige Tage auf der Insel bleibt.

Den ganzen nächsten Tag ritten wir bergauf, bergab durch das wilde Liparitgebirge, welches die Ebene Skaptärtunga, an der Südküste von dem inneren Hochland trennt. Der Gletscher des Torfa-Jökull überragte gegen Süden die Berge, die viel Schnee trugen. Weit um uns breitete sich ein bimsteinüberwehtes Hochplateau, aus dem riesige Schlacken in düsteren Farben hervor- ragten, grell abstechend gegen die weißlichen Sande. Dazwischen wieder lagen große Stücke Obsidian (schwar- zer Glasfluß) deren wie poliert erscheinende Bruch- flächen in der Sonne blitzten und funkelten.

Dann wieder führten die Vörđur steil hinab an dunkel verwitterten Liparitwänden, an deren Fuß große Schneeflecken das smaragdgrüne Moos am Boden der Talsohle noch halb bedeckten. Einige über meterhohe Archangelica-Stauden(Archangelica offic. Hoffmann. Engelwurz. Gattung der Familie Umbelliferen. In Island gewöhnlich Hvann-njólarnjr = Sumpf-Stauden, genannt) standen einsam und stolz aufgerichtet an dem silbernen Wasserfaden, welcher unter dem Schnee hervorsickernd, das kleine Tat derart durchtränkte, daß wir, absteigend um den Pferden kurze Rast zu gönnen, bis über die Knöchel in Sumpf einsanken. Nach mehrfacher Kreuzung eines wildschäumenden Baches erklommen wir wieder einen anderen Höhenrücken — um bald darauf an sehr abschüssiger Bergflanke eine breite Schneebrücke zu überschreiten. Absteigen hieß es und vorsichtig die Pferde führen, — abwechselnd sank Mann wie Pferd bis zum Knie ein, aber glücklich kam alles über das Schneedach hinüber.

Stunden und aber Stunden brachten uns diese mühevolle Abwechslung. Als wir auf dem letzten Hochplateau über Gerölle und Sumpfflecke trabten, hüllten kalte Nebel uns ein, und wie wir das Ende erreichten, von wo im sanften Abfall der ungefähr eine deutsche Meile lange Ausläufer des Gebirges sich in die Skaptártunga erstreckt, sahen wir über die Schlacken der berühmten Spalte Eldgjá zu Tal rutschend, bis hin zum Ozean die Ebene gleich einer Landkarte vor uns ausgebreitet. Genau auf dem Grat des schmalen Bergfußes ritten wir hinab, zu beiden Seiten tiefe Abgründe, die sich im Dämmer verloren. Im Tal gelangten wir nach einer Stunde zu einem tiefen, reißenden Fluß, der Syđri Ofaerá.

Jetzt zwang mich die eigene Sicherheit, wieder wach zu werden — nach zehn Stunden Ritt pflegte ich nahezu auf dem Pferde einzuschlafen — hörte ich doch Sigurđur bestimmen, daß „die Dame das große Pack-Pferd haben müsse." Das „große Pack-Pferd" zu reiten, war glücklicherweise ein Genuß, der sich mir selten bot. Da nach Flußübergängen gleich weiter geritten wurde, mußte ich es natürlich die nächsten drei bis vier Stunden behalten, ein Umsatteln extra für mich hätte viel Mühe verursacht. Daß ich bei täglich zwölfstündigem Ritt nicht zu graciösem englischen Trab aufgelegt war, wird man begreiflich finden, — das „große Packpferd" ging aber sehr hart. Es wurde auch nur verabreicht bei besonders tiefen und reißenden Flüssen, von denen wir ca. dreißig durchfurtet haben.

Ganz hatte ich mir noch nicht die fatale Empfindung abgewöhnen können, daß, eben im Wasser drin, das gegenüberliegende Ufer sich sehr schnell um mich herumdrehte. Da es nicht beruhigender war in die zischenden, grauen Wellen unter mir zu sehen, dachte ich es mir wundervoll, die Augen zu schließen und hinübergezogen zu werden — ein Traum, der sich nie erfüllt hat. Bei den reißenden isländischen Flüssen sind die Furten, die noch dazu beständig wechseln, so schmal, daß ein Pferd Schritt vor Schritt dem vorangehenden folgen muß, buchstäblich kann ein Tritt zu weit zur Seite verhängnisvoll werden. So bemühte ich mich stets die Mitte zu halten zwischen dem Führen des Pferdes und dem Nachgeben nach dem Willen des klugen Tieres.

In der Folge erwies es sich als sehr heilsam, daß ich diese Selbständigkeit erworben. So schwierige Flußübergänge, wie sie Professor Herrmann (P. Herrmann: Island in Vergangenheit und Gegenwart. 2 Bde. Leipzig 1907) im Süden des Vatna-Jökull, durch die besonders tiefen Gletscherströme mit großer Anschaulichkeit schildert, in denen die Pferde fast durchgehends schwimmen müssen, habe ich allerdings nicht auszuführen brauchen, vermutlich wäre mir dies auch kaum gelungen.

Jetzt gings wieder auf die Höhe und nach drei weiteren Stunden erreichten wir rechtschaffen müde die Farm Svartignúpur am Varđa Nr. l.

Unser Führer Jón war zu ermüdet, um essen zu mögen, aber wir Drei standen mit unserem Appetit den Pferden kaum nach.

Einige jüngere Familienglieder der Farm, die der Pferdeversorgung wegen geweckt waren, verfolgten stumm in äußerst mangelhafter Toilette, mit großem Interesse all unsere Unternehmungen. Voller Sonnenschein umleuchtete die hübsche, weite Grasebene, die im fernen Süden vom Myrdalsjökull begrenzt war, als ich am Bach das Teller- und Schüsselsäubern beendet und nach Erfüllung aller Hausfrauenpflichten mich zur Ruhe begeben durfte.


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